Das Holztechnikum im Gründungsjahr 1925

Seit der Jahrhundertwende verstärkte sich in der Holzverarbeitung, wie vorher schon im Metallbereich, die Entwicklung von der handwerklichen zur industriellen Fertigung. Immer mehr Betriebe - sie nannten sich ab ca. 20 Beschäftigten Fabriken - schafften sich aufwendige neue Maschinen an. In der Möbel-, Tisch-, Stuhl- und Parkettfabrikation wuchsen die Beschäftigungszahlen. Die Rationalisierung war damals schon ein wirtschaftlich begründetes Gebot. 1924 entstand der Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung REFA mit einer eigenen Abteilung für die Holzindustrie. Die amerikanischen Erfolge waren es, die nach dem Ersten Weltkrieg die deutsche Holzindustrie beeindruckten und zugleich zu einem ernsten Faktor der Konkurrenz wurden. Die wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Situation machte Neuerungen in der Ausbildung des Führungsnachwuchses unabdingbar. Rosenheim war seit langem einer der größten deutschen Holzumschlagplätze und in der Branche war man sich wohl bewußt, daß etwas geschehen mußte. Der Rosenheimer Sägewerksbesitzer Hugo Laue, ein im In- und Ausland bekannter Fachmann, gab die ersten Anstöße zur Gründung einer Schule, auf der Holztechnik zusammengefaßt gelehrt werden sollte. So wurde das Holztechnikum im Jahr 1925 als private Anstalt begründet, bis zur Verstaatlichung dauerte es 18 Jahre.
„Holz-Technikum Rosenheim. Erste deutsche Fachschule für Holz-Industrie und Holzhandel" stand auf dem Briefkopf, als der Ingenieur Ernst Schlegel im Januar 1925 an das Ministerium für Unterricht und Kultus das Gesuch um Erteilung einer Konzession richtete. Nachdem die Ortsgruppe Rosenheim des Vereins der bayerischen Holzinteressenten eine zustimmende Erklärung abgegeben hatte und Stadtrat und Bezirksamt sowie die Forstkammer der Regierung von Oberbayern vor allem den Bedarf bejahten, duldete das Ministerium stillschweigend, daß die Schule am 7. Januar 1925 mit einem Vorkurs eröffnet wurde. Das Programm bezeichnete als Ziel der Schule die Ausbildung von Werkmeistern, Technikern und Ingenieuren für Sägewerke und Fabriken der Holzindustrie. Ferner sollten bereits in der Praxis stehende kaufmännisch oder technisch Ausgebildete eine fachliche Wissenvertiefung erfahren können. Für Werkmeister sollte die Ausbildung 1 Jahr, für Techniker 18 Monate, für Ingenieure 2 Jahre, für Fachvortragshörer 6 Monate dauern. Eingangsvoraussetzung war für den Ingenieurkurs die Reife der Obersekunda, d.h. 6 Jahre eines Gymnasiums oder einer Realschule. Für den Vorkurs zu allen anderen Lehrgängen genügte der Nachweis des Volksschulabschlusses und die Vollendung des 17. Lebensjahres. Das Schulgeld war für damalige Verhältnisse sehr hoch. Schon die Ersteinschreibung kostete ebenso wie die Abschlußprüfung 30 Mark. Für den Vorkurs hatten Reichsdeutsche und Deutschösterreicher 88 Mark zu bezahlen, Ausländer dagegen 100 Mark. Jedes Semester kostete für Deutsche 175 Mark, für Ausländer 200 Mark. Die Schulordnung warnte vor allem vor unbegründetem längeren Fernbleiben und drohte mit dem Verweis von der Schule. In der Schulwerbung wird bereits der hohe Freizeitwert der Stadt mit Gebirgs- und Seenähe hervorgehoben. Möblierte Zimmer stünden von 12 Mark ohne und 60 Mark mit Pension aufwärts in genügender Zahl zur Verfügung.
Der Lehrplan beinhaltete im Vorkurs über 48 Wochenstunden Zeichentechnik, Deutsch, Rechnen, Planimetrie, Algebra und freiwillig Stenographie. Die Werkmeister hatten im 1. Semester über 44 Wochenstunden neben der Mathematik, Elektrotechnik, Maschinenelemente, Maschinen-Fachzeichnen, Baukonstruktionslehre, Bauzeichnen, Rechenschieber und auch Schreibmaschine sowie Erste Hilfe zu absolvieren. Im zweiten Semester war es ebensolange: Holzstofflehre, Holzpflege und Konservierung, Holzbearbeitung- und Vermessung, Betriebslehre, Kalkulation, Grundlagen für Holz-Ein- und -Verkauf, sowie Exkursionen. Bei den Technikern betrug die Wochenstundenzahl 48. Zu den oben genannten Fächern kamen Feldmessen, Nivellieren, Entwerfen von Möbeln, Hydromechanik, elektrische Antriebe, Wagen- und Waggonbau sowie Entwerfen von Holzbauten hinzu.
Die Schülerzahl betrug im Mai 1925 22, den Abendkurs für Meister und Gehilfen besuchten 12 Personen. Neben dem Schulleiter waren lediglich ein Architekt und ein Fachlehrer beschäftigt.
Das Unternehmen von Schlegel stand unter einem schlechten Stern. Die Regierung von Oberbayern hatte in einem Zwischenbericht im Juli bereits Zweifel an dem Vorhandensein der für den Betrieb der Schule notwendigen Mittel angemeldet und Schlegels finanzielle Lage moniert, der sein Einkommen lediglich aus den Überschüssen der Schule beziehen wolle. Tatsächlich war der Schulunternehmer bis zum Jahresende pleite. Der Stadtrat meldete am 7. Dezember, daß Ingenieur Schlegel seine Zahlungen eingestellt habe und als Unternehmer, Leiter und Lehrer der Fachschule zurückgetreten sei. Schlegel war nicht einmal mehr in der Lage, seinen Lehrkräften das Novembergehalt zu bezahlen. Im Dezember wurde seine Villa in Bad Aibling versteigert. Statt des Schätzwertes von 30.000 Mark wurden nur 7.500 Mark erzielt. Die Schulgelder waren für zurückliegende Schulden verwendet worden. Da die Lehrer ohne ihre Gehälter blieben, stellten sie den Unterricht ein.
Die Rosenheimer Holzunternehmer nahmen die Entwicklung nicht tatenlos hin. Zur Rettung der Schule hatte sich bereits im September eine „Vereinigung zur Förderung einer Holzfachschule" konstituiert, dem auch die Stadtgemeinde Rosenheim beitrat. Die Stadt verpflichtete sich grundsätzlich zur Leistung eines Zuschusses. Das Wichtigste war jedoch, daß sie zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebes die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung stellte, nämlich zunächst zwei Zimmer und den Turnsaal der früheren Schule für die Ausbildung von Lehrern (Präparandenschule) in der Prinzregentenstraße 62. Der Jugendstilbau brachte auch die notwendige äußerliche Repräsentativität.
Nicht ganz bedeutungslos war auch, daß sich Wirte und Ladenbesitzer für die neue Schule einsetzten. Völlig dagegen waren nur die Rosenheimer Kommunisten. Vor den Gemeindewahlen im Winter 1925 verbreiteten sie Flugblätter, auf denen sie aus den von der Stadt zugesagten 1.000 Mark den Betrag von 12.000 Mark machten. Sie lehnten die Schule ab, denn „Unternehmersöhnchen aus allen Teilen Deutschlands werden hier zu Arbeiterschindern ausgebildet". Die Aufsichtsbehörden sprachen gegenüber der neuen Regelung wiederum eine Duldung aus mit der Auflage des baldigen finanziellen Sicherungsnachweises. Darauf nahm sich die Rosenheimer Holzwirtschaft endgültig der Schule an und beschloß den Eintrag ins Vereinsregister. Vorsitzender des Vereins wurde Hugo Laue. Bis zum Frühjahr 1926 waren dem Verein 90 Einzelmitglieder beigetreten, darunter der Süddeutsche Sägewerksverein. Das entscheidende Datum für die Zukunft der Anstalt wurde Samstag, der 13. Februar 1926, an dem eine außerordentliche Hauptversammlung des „Vereins zur Förderung einer Holzfachschule" im Münchner Hof stattfand. Der Tagung voran ging eine mehrstündige Sitzung des Regierungsvertreters mit Hugo Laue, dem Fabrikanten Seifert, der Vorstand des Rosenheimer Handelsgremiums war, mit dem 2. Bürgermeister Gietl, dem städtischen Rechtsrat Wander und dem Großindustriellen Dr. Steinbeis. Wichtigste Frage war die Finanzierung. Die Stadt sagte ihre 1.000-Mark-Spende zu, der Sägewerksverein 1.500 Mark. Der Verein erklärte sich zur Aufnahme eines Darlehens bereit. Ein Streitpunkt mit dem Regierungsvertreter war der Name der Schule. Die Behörde plädierte für „Fachschule", da durch „Technikum" Erwartungen ausgelöst würden, die nicht erfüllbar seien. Die Versammlung protestierte. Nach dem Lehrplan sollten Techniker ausgebildet werden, keine Gehilfen. Es kämen in der Regel Leute zwischen 20 und 30 Jahren, die vielfach schon gehobene Stellungen in Betrieben innegehabt hätten. Der Verein wollte eher auf das ganze Vorhaben verzichten, als den Namen preisgeben. Vor allem dem Argument der Werbewirksamkeit konnte sich die Behörde nicht entziehen. Am Ende gab das Ministerium nach. Das Rosenheimer Holztechnikum nahm endgültig seine Arbeit auf.
 

Dr. Raimund Baumgärtner