Menschenmenge bei der Absetzung von Bürgermeister Wüst am 22. Februar 1919

22. Februar1919
Menschenmenge bei der Absetzung von Bürgermeister Wüst am 22. Februar 1919

Der 22. Februar 1919 gilt als Zeitenwende in der Rosenheimer Stadtgeschichte. An diesem Tag gelang revolutionären Gruppen die Absetzung von Bürgermeister Josef Wüst. Die Revolution begann in Bayern am 7. November 1918 mit dem Sturz von König Ludwig III. Am Tag darauf rief Kurt Eisner von der USPD die Republik aus und wurde zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt. In Rosenheim verlief die Revolution zunächst noch relativ gemäßigt. Es bildeten sich ein Soldaten- und ein Volksrat, an deren Spitze der Gefreite Guido Kopp und der Arbeitersekretär Karl Göpfert standen. Zwar gelang es Soldaten- und Volksrat im Rathaus ein Büro zu beziehen und gewissen Einfluss auf die Stadtverwaltung auszuüben, trotzdem blieben aber der seit 1889 amtierende Bürgermeister Josef Wüst und seine Beamten weiterhin im Amt.
Mit der Ermordung von Ministerpräsident Eisner am 21. Februar 1919 eskalierte die Lage im Zuge der so genannten „2. Revolution“ auch in Rosenheim. Am Nachmittag des 22. Februar 1922 kam es zu einer großen Versammlung auf der
Loretowiese. Laut dem Bericht des „Rosenheimer Anzeigers“ ging Kopp in seiner Rede „mit den bürgerlichen Parteien, der Geistlichkeit und den ‚Rosenheimer Spießbürgern‘ streng ins Gericht“. Nach der Ermordung Eisners stünden die
Errungenschaften der Revolution auf dem Spiel, so Kopp. Daraufhin zog eine große Menschenmenge zum Rathaus, wo man Bürgermeister Wüst die Forderungen der Revolutionäre vortrug und ihn zum Rücktritt von seinem Amt bewegte. Vor dem Verlagshaus des „Rosenheimer Anzeigers“ in der Prinzregentenstraße ermahnte Volksrat Göpfert, der die Amtsgeschäfte des Bürgermeisters übernommen hatte, zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Über den Abend des Tages, an dem ein jahrhundertealtes Herrschaftssystem auf örtlicher Ebene dem Druck der Masse gewichen war, schrieb der „Rosenheimer Anzeiger“: „Irgendwelche Zwischenfälle und Ausschreitungen haben sich bei der Demonstration und in den nachfolgenden Stunden nicht ereignet. Am Samstag nachts 10 Uhr lag die Stadt Rosenheim in tiefem Frieden.“
In den folgenden Wochen radikalisierte sich die Lage in Rosenheim. Ende April verließ Kopp unter dem Druck der gegenrevolutionären Kräfte mit seinen Anhängern die Stadt und am 1. Mai zogen die „Weißen Garden“, darunter das Freikorps Chiemgau, in Rosenheim ein. In der Folge gewannen monarchistisch-konservative Kräfte die Oberhand in Rosenheim. Als Sieger der Stadtratswahl am 15. Juni 1919 ging die Bürgerliche Wirtschaftspartei hervor, die mit Dr. Bruno Kreuter auch den künftigen Bürgermeister vorschlug.

Text: Karl Mair
Quelle: Stadtkalender "Bilder aus Alt-Rosenheim", 2019/2

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