Die "Neue Welt" in Fürstätt

1902
Die "Neue Welt" in Fürstätt 1902

In der damals noch zur Gemeinde Westerdorf gehörenden Fürstätter Vorstadt an der Staatsstraße nach München, der heutigen Äußeren Münchener Straße, errichtete die Baufirma Baumann & Schwarz 1901/02 zwei dreigeschossige Mietshäuser. Der aus der Pfalz stammende Architekt Carl Baumann kam als Angestellter im „Bau-Bureau der Gillitzer`schen Neubauten" der Münchner Baufirma Karl Stöhr nach Rosenheim, wo er sich 1898 zusammen mit Johann Schwarz selbstständig machte. Dabei war die Mitarbeit am Gillitzer-Block Baumanns beste Visitenkarte. Um 1900 war er der gefragteste Planer der Stadt.
Bei der Einreichung des Bauplans für die neuen Gebäude hatte die Ortspolizei keine Einwände gegen das Bauvorhaben, da sich außer der Staatsstraße keine „Objekte im Sinne der Bauordnung" in der Nähe des geplanten Baus befanden. Im vorderen Gebäude an der Staatsstraße wurde eine Gastwirtschaft eingeplant, da durch die Anlage eines Holzlagers der Firma Steinbeis und die Gründung der Parkettbodenfabrik Wiesböck hier die Lage für ein Gastlokal als lukrativ erkannt wurde. Außerdem betrieben Baumann & Schwarz auf dem Baugelände auch eine Dampfwaschanstalt und eine Bauschreinerei mit einem Lohnhobelwerk und sahen in einer Gastwirtschaft in dieser Lage eine günstige Möglichkeit, die beschäftigten Arbeiter in ihrer Mittagspause zu verpflegen. Gleiche Überlegungen stellte auch der Brauereibesitzer Johann Auer an, der zeitgleich mit der Firma Baumann & Schwarz den Antrag auf eine Gastlokalkonzession in Fürstätt stellte, den er allerdings Ende des Jahres 1901 wieder zurückzog.
Das Gastlokal wurde zunächst als „Wirtschaft Fürstätt" von Jakob Hofstetter als Pächter betrieben. Doch bereits im September 1903 teilte die Firma Baumann & Schwarz dem Stadtmagistrat mit, dass sie das Lokal selber betreiben wolle und als Geschäftsführer den Schreinerwerkmeister Heinrich Goldfuß eingestellt habe. Mit Goldfuß scheint das Lokal den Namen „Neue Welt" erhalten zu haben. Dieses Geschäftsverhältnis ging allerdings nicht gut, so dass im Laufe des Jahres 1903 die Baufirma das Gastlokal an die Auer-Brauerei verpachtete, die Heinrich Goldfuß zunächst weiter beschäftigte. Nach einem heftigen Streit mit einem Gast im Lokal, bei dem Goldfuß zur Schusswaffe gegriffen hatte, kündigte ihm Johann Auer die Pacht und setzte den neuen Betreiber Sebastian Wagner ein.
Nach dem Konkurs von Baumann & Schwarz ersteigerte 1905 die Creditbank Rosenheim das Anwesen. Der Pachtvertrag mit der Auer-Brauerei blieb allerdings bestehen. Ein häufiger Betreiberwechsel prägte die „Neue Welt" bis April 1910, als der Gastwirt und Metzgermeister Georg Huber das Wirtschaftsgebäude käuflich erwarb. Huber scheint das Lokal zu neuem Schwung gebracht haben. Der Umsatz stieg, die Beschwerden der Nachbarn auch, da im Lokal oft bis spät in die Nacht gekegelt wurde. Mit dem Ersten Weltkrieg kam auch für Huber der wirtschaftliche Einbruch. Die Stilliegung von benachbarten Betrieben wie der Wiesböck`schen Parkettbodenfabrik veranlassten Huber, sich auch um die Pacht des neu gebauten benachbarten Sportheims des Reichsbahn- und Postsportvereins „am unteren Gries" zu bewerben, da die „Neue Welt" ihn und seine Familie nicht mehr ausreichend ernähren konnte. Heute befindet sich in den Gasträumen der „Neuen Welt" eine Weinhandlung.
Das Kalenderbild zeigt den Blick von Südosten auf die Rückfronten der beiden neugebauten Blöcke. Rechts das Haus mit der Gastwirtschaft, im rechten Winkel dazu stehend das Gebäude an der heutigen Wendelsteinstraße. Bei dem im Vordergrund erkennbaren vereisten Bachlauf handelt es sich um den alten Triftkanal, der mit dem Bau des Elektrizitätswerks in Oberwöhr 1895 aufgelöst und nach dem weiter westlich einmündenden Stillerbach benannt wurde. Wegen Verschlammung und der damit verbundenen Geruchsbelästigung wurde der Stillerbach in den 1960er Jahren begradigt und unterirdisch verrohrt.

Text: Ingeborg Armbrüster
Quelle: Stadtkalender "Bilder aus Alt-Rosenheim", 2005/12

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