Die Gleichschaltung der Presse

Verbote mißliebiger Zeitungen waren keine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern eine Demonstration staatlicher Macht, die sowohl Verlegern und Redakteuren wie auch Lesern besonders aus den letzten Jahren der Weimarer Republik wohl vertraut war. Ihr waren vor allem NSDAP-, KPD- und SPD-Blätter zum Opfer gefallen, ermöglicht und gesetzlich verankert durch die Notverordnungen des Artikel 48 der Reichsverfassung von 1919.
Dennoch, bereits die ersten beiden Verordnungen zur Knebelung der Presse kurz nach der Machtübernahme1)erwiesen sich als „Einlaßtor polizeistaatlicher Willkür",2) zeigen die deutlich schärfere Gangart der neuen Machthaber und lassen das Fernziel, nämlich die völlige Gleichschaltung der Presse, klar erkennen.
Hitler selbst hat sehr früh schon die Bedeutung der Presse als Propagandamittel und die Notwendigkeit ihrer Beherrschung erkannt.3) Zwar gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten und Kompetenzrivalitäten hinsichtlich der Methoden und Ziele der Gleichschaltung innerhalb der Parteihierarchie und mehr noch zwischen Parteispitze und Parteibasis, die zu Konflikten, schlecht koordinierten Aktionen und, gerade in der Provinz, zu einer oft schwer durchschaubaren Vermischung parteipolitischer und wirtschaftlicher Motive führten.4) Gleichwohl, das Zeitungssterben belegt sehr deutlich den trotz aller lokalen Besonderheiten doch durchschlagenden „Erfolg" der nationalsozialistischen Pressepolitik. Gab es 1933 noch 479 Zeitungen in Bayern, so waren es 1944 nur mehr 108.5)
Im Folgenden sollen am Beispiel der beiden Rosenheimer Zeitungen Rosenheimer Anzeiger und Rosenheimer Tagblatt Wendelstein die Auswirkungen der Erlasse und Verordnungen, die die Ausschaltung der freien Presse zum Ziele hatten, von der ersten Selbstanpassung bis zum Verlust der früheren Identität gezeigt werden, wobei es in erster Linie um den Zeitraum von Ende Januar 1933 bis Dezember 1933 geht. Innerhalb dieses knappen Jahres, eigentlich schon bis zur Jahresmitte, vollzog sich wenigstens die inhaltliche Gleichschaltung der beiden Blätter. Auf das „Mitteilungsblatt" der SPD und die KPD - Blätter, die, ohnehin nur von einem relativ kleinen Personenkreis gelesen und zum Teil wiederholten Verboten ausgesetzt, nur bis Februar 1933 erschienen, braucht hier nicht eingegangen zu werden.6)
Auflagenstärkste Zeitung war der auch von einem ehemaligen Mitarbeiter als deutschnational bis liberal eingestufte Rosenheimer Anzeiger, gegründet 1855 und herausgegeben im Verlag R. Niedermayer. Konkurrent des Anzeigers war das der BVP nahestehende, vom Mitherausgeber Heinrich Bergmann als „katholisches Kampfblatt" charakterisierte Rosenheimer Tagblatt Wendelstein, das 1869 vom katholischen Kasino der Stadt gegründet worden war. Bergmann war 1910 als Redakteur zur Zeitung gekommen, wurde 1925 neben der Familie Gasteiger Mitherausgeber und konnte durch seine Geschäftstüchtigkeit die Auflage des Blattes beträchtlich steigern.

Der Rosenheimer Anzeiger

Schrittweise und ohne daß die Leser von den innerhalb der Redaktion ausgetragenen Machtkämpfen viel gemerkt und den Kurswechsel vielleicht nicht mitgemacht hätten, paßte sich der Rosenheimer Anzeiger den neuen politischen Gegebenheiten an, schwenkte auf den von den Machthabern geforderten Kurs ein. Leitartikel, die die eigene, unabhängige Meinung des Verfassers zeigten und dem Blatt sein Profil verliehen, wurden ab März ersetzt durch eine Hofberichterstattung, die sich voll in den Dienst der propagandistischen Ziele der Partei stellte. Wenngleich abgemildert durch die Frageform, zeigte der Verfasser des Leitartikels vom 31. Januar 1933 anläßlich der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler sein mangelndes Vertrauen in das Demokratieverständnis der neuen Regierung noch recht deutlich: „Wird sie die Reichsverfassung halten oder wird sie in Parteidiktatur und einseitige Parteienherrschaft abgleiten? [...] Wichtiger noch wird die Antwort auf die Frage sein, auf welchem Wege und mit welchen Methoden diese Regierung das deutsche Volk zu führen gedenkt."7) Tags darauf bereits folgte eine weit weniger skeptische Aufforderung an die neue Regierung: „Die Regierung Hitler-Papen-Hugenberg hat die Macht - möge sie nun ihre Taten zeigen. [...] An den neuen Männern liegt nun das Weitere."8)Weder Kritik noch offener Zuspruch, eher Vertrauen in einen erhofften Neuanfang, Auf-bruchsstimmung. Dann, in einigen Leitartikeln von Anfang März 1933, wie die meisten ohne Nennung des Verfassers nur mit einem Kreuz gezeichnet, ein neuer Ton. Vor der Reichstagswahl wurde noch sachlich - überlegt an die Gemeinsamkeit der Demokraten und den Nationalstolz der Bürgerlichen appelliert: „Sollte nun tatsächlich die Zusammenarbeit von Hitler, Papen, Hugenberg, Seldte, Brüning und Schäffer ermöglicht werden, dann erscheint die Zukunft des geeinten Deutschlands durchaus nicht unerfreulich. Daß Zentrum und Bayer. Volkspartei sich einer Einigung nicht verschließen, ist selbstverständlich."9) Nach der Wahl wandelte sich die Sprache in den Leitartikeln, sie erschien nun martialisch - kraftvoll und deutlich gefühlsbetont: „Bayern wird die Folgen des 5. März in erster Linie zu spüren bekommen. Der nächste Sturm dürfte dem Bayerischen Landtage gelten."10) „Daraus ergibt sich, daß innerhalb der Reichsregierung in Zukunft die Nationalsozialisten erst recht den Ausschlag geben werden und daß mit einem sehr scharfen politischen Kurs im Reich zu rechnen sein wird. [...] Der 5. März hat eine neue Epoche in Deutschland eingeleitet, die in eine ganz neue Form staatlichen Lebens hineinführt."11) Die Leser sollten mitgerissen werden, man bediente sich der Sprache der Hitler und Goebbels'.
Endgültig auf die Seite Hitlers schwenkte die Zeitung mit den Artikeln vom 23. und 24. März zum Ermächtigungsgesetz, keine Kritik, keine Zweifel regen sich mehr. Der Parteigenosse Birling, obwohl er offiziell nach wie vor nur für den Lokalteil zuständig zeichnete, hatte offensichtlich den Machtkampf mit dem bürgerlich - liberalen Hans Mittl für sich entschieden. Leitartikel wurden immer seltener, es wurde nicht mehr Lokalpolitik, sondern lokal Politik gemacht.12) Ab Mitte Juni wurden im Lokalteil ausführliche NSDAP - Mitteilungen gedruckt, am 9. Dezember 1933 wurde die Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Redaktion formalisiert und auch den Lesern mitgeteilt. Parteigenosse Hans Birling stieg zum Hauptschriftleiter auf, der bürgerlich-liberale Hans Mittl dagegen wurde degradiert und war nur mehr für den übrigen Teil verantwortlich. In einer Mitteilung vom 20. April 1934 warf ihm die Bayerische Politische Polizei vermutliche Mitgliedschaft in einer monarchistischen Vereinigung vor, Folgen einer Ermittlung gegen ihn sind nicht festzustellen. Mittl, der nach Aussagen eines Zeitzeugen sehr unter seiner Zurücksetzung litt und nach der „Machtübernahme" des rücksichtslosen Birling resignierte, erschien den gesamten Januar 1936 hindurch im Impressum als „z. Zt. beurlaubt", am 1. Februar 1936 wurde er von dem mit Birling sehr viel besser harmonisierenden J. Späth abgelöst.
Wie gefährlich selbst ein Setzfehler werden konnte, erfuhr ein Maschinensetzer am eigenen Leib. Als er aus „SS-Staffeln" versehentlich „SS-Stoffeln" machte, wurde er noch am Arbeitsplatz von der Gestapo verhaftet und kam nur Dank der Hilfe eines früheren Kollegen, der Parteifunktionär geworden war, nach zwei Tagen Haft wieder frei.13)

Das Rosenheimer Tagblatt Wendelstein

Ungleich schärfer als der eher abstrakt und formal-politisch argumentierende Rosenheimer Anzeiger formulierte Heinrich Bergmann im Rosenheimer Tagblatt Wendelstein seine Kritik an den Nationalsozialisten, freilich auch nur bis zum März 1933. Mit Bergmanns erzwungenem Verstummen hört die Zeitung auf, ein mutiges und wortgewaltiges Sprachrohr des Katholizismus zu sein, und ist als meinungsloser Vermittler von Agenturberichten vom Rosenheimer Anzeiger kaum mehr zu unterscheiden. Bis zu Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 geizte das Blatt nicht mit Spott über die steckengebliebenen Versuche der NSDAP, ihre Macht auszubauen, und kritisierte deren innere Zerrissenheit. Hitlers Ernennung zum Reichskanzler wurde von Bergmann zwar nicht kritisiert, er bedauerte, daß viel kostbare Zeit durch die Kanzlerschaften Papens und Schleichers vergeudet worden sei, Hitler wird jedoch recht frei und respektlos an seine Versprechen erinnert: „Jetzt müssen Taten folgen, jetzt hilft kein Maulspitzen mehr, jetzt muß gepfiffen werden. [...] Auch der wortgewaltige Adolf Hitler muß mit Wasser kochen, auch Hitler kann aus Blutwürsten keine Leberwürste machen."14) Scharf ging Bergmann mit der Regierung Hitler ins Gericht, als diese den Reichstag auflöste und Neuwahlen für den 5. März 1933 ansetzte: „Wenn die ganze politische Weisheit auch dieser Regierung nur darin besteht, das abgenützte Instrument der Wahlen zu benützen, so ist damit erwiesen, daß auch sie sich nicht zu sachlicher politischer Arbeit befähigt fühlt [...]"15)
Mit aller verbalen Vehemenz, die den Zorn des in seiner Berufsehre angegriffenen Journalisten auf die Arroganz der staatlichen Macht verrät, wehrte sich Bergmann gegen den „Maulkorberlaß" vom 4. Februar 1933: „Es wird wohl keiner unter unseren Lesern sein, der nicht begreift, daß dies ein Kautschukparagraph ist, der nach Belieben gedehnt werden kann, und zwar so weit gedehnt werden, bis er eine Schlinge ist, in der sich der Redakteur eines zur Regierung in Opposition stehenden Blattes fängt. [...] Wir standen in der Revolution unter der Fuchtel der bolschewistischen Zensoren der Räte-Republik und haben die Wahrheit geschrieben und wir werden sie auch jetzt schreiben."16) Ganz anders war bereits die Reaktion auf die Notverordnung vom 28. Februar 1933, die nach dem Reichstagsbrand erlassen wurde. Dieser zweite Anschlag auf die Pressefreiheit, dem vor allem kommunistische und sozialdemokratische Zeitungen zum Opfer fielen, wurde kritiklos hingenommen. Der ab Anfang März einsetzende, allmähliche Kurswechsel des Blattes scheint ein Beweis für die Wirksamkeit dieser Verordnung zu sein, die auch Bergmann vorsichtig werden ließ. Offene Kritik tarnte sich als Einsicht ins National - Notwendige, überzeugte Gegnerschaft wich einer naiven Hoffnung auf die Kooperationsbereitschaft der Nationalsozialisten und dem Wülen zur Mitarbeit am jungen Staat: „Wir sind himmelweit davon entfernt, nun das alles gut zu heißen, was in diesen stürmischen Tagen alles geschieht. Aber die im nationalen Wildbach daherbrausenden Fluten werden sich wieder verlaufen. Die staatserhaltenden Kräfte lassen sich auf die Dauer nicht ausschalten. Wir müssen und werden uns eines Tages alle wieder zusammenfinden. Haben wir doch der gemeinsamen Feinde und Gegner so viele."17) Selbst die Absetzung des bayerischen Ministerpräsidenten Held (BVP) wurde als Folge der sturmbewegten neuen Zeiten hingenommen, immer stärker drängt sich in den letzten Leitartikeln Bergmanns das Überleben des Katholizismus und der ihn tragenden Parteien, für das man fast jeden Preis zu zahlen bereit war, als zentrale Sorge in den Vordergrund. Die Annahme des Ermächtigungsgesetzes (mit den Stimmen von Zentrum und BVP) nahm man erleichtert zur Kenntnis. Am 31. März 1933 erschien Bergmanns letzter Leitartikel. Mit dem führenden Kopf verlor das Blatt sein Profil und stellte sich ganz in den Dienst der Macht. Die Auflösung der Rosenheimer Ortsgruppe der BVP und die Verhaftung ihrer Führer, auch in München, am 27. bzw. 28. Juni wurde brav und ohne Kommentar berichtet. Bis zum 17. Mai 1933 nannte sich die Zeitung „Größte parteipolitische Tageszeitung des bayerischen Oberlandes - Katholisches Volksblatt für alle Stände", bis zum 22. Juli „Unabhängige katholisch -nationale Tageszeitung für alle Stände des bayerischen Oberlandes", dann „Nationale Tageszeitung für alle Stände des bayerischen Oberlandes". Bergmann, der Anfang April bereits für zwei Wochen ins Gefängnis kam, wurde Anfang Juli auf Betreiben des Sonderkommissars Meder wieder verhaftet und „wegen dauernder niederträchtiger Bekämpfung der nationalsozialistischen Bewegung, bis zum März des Jahres [...]" nach Dachau überführt. Diese Verhaftung fand in seiner Zeitung, dem Tagblatt, keine Erwähnung, nur die Leser des Anzeigers erfuhren im Polizeibericht davon. Im November 1933 wurde Bergmann entlassen, mit der eindringlichen Warnung, keine „Greuelmärchen" über das Lagerleben zu verbreiten.18)
Am 15. März 1934 wurde der Münchner Großverleger Müller, Besitzer des früheren Konkurrenten „Bayerischer Zeitungsblock" und Duz-Freund des Reichspressechefs Amann, Eigentümer des Verlages, das Tagblatt wurde Kopfzeitung des Völkischen Beobachters. Bergmann mußte zum 1. April 1934 auf Befehl Amanns aus dem Verlag ausscheiden, jede weitere Mitarbeit war ihm untersagt.
Am 15. Juni 1937 wurden die Leser des Rosenheimer Anzeiger und des Rosenheimer Tagblatt Wendelstein davon in Kenntnis gesetzt, daß in Erfüllung der vom nationalsozialistischen Staat verlangten „Bereinigung der Zeitungsverhältnisse" die beiden Zeitungen vereinigt werden und das Tagblatt sein Erscheinen einstellt.

Robert Berberich

Anmerkungen:

1) Notverordnung zum „Schutz des deutschen Volkes" vom 4.2.1933, RGBL 1933 Teil I, S. 35, und „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. 2.1933, ebenda S. 83.
2) FREI, Norbert: Nationalsozialistische Eroberung der Provinzpresse. Gleichschaltung, Selbstanpassung und Resistenz in Bayern. Stuttgart 1980, S 35.
3) Ende 1920 kaufte die NSDAP den stark verschuldeten Völkischen Beobachter, den Hitler fast täglich mit Artikeln belieferte.
4) FREI, Norbert: Nationalsozialistische Eroberung der Provinzzeitungen. Eine Studie zur Pressesituation in der bayerischen Ostmark. In: Bayern in der NS-Zeit II, S. 53.
5) FREI, Eroberung der Provinzpresse, S. 19.
6) Als das „Mitteilungsblatt" am 21. 2.1933 für vier Wochen verboten wurde, war sein Schicksal endgültig besiegelt. Vgl. STÄBLER, Wolfgang: Weltwirtschaftskrise und Provinz. Studien zum wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandel im östlichen Altbayern 1928 - 1933. Diss. München 1989.
7) RA vom 31.1.1933.
8) RA vom 1.2.1933.
9) RA vom 3. 3.1933.
10) RA vom 6. 3.1933.
11) RA vom 7. 3.1933.
12) FREI, Eroberung der Provinzpresse, S. 14.
13) Aussagen des Betroffenen.
14) RTW vom 31.1./ 1. 2. 1933.
15) RTW vom 2./3. 2.1933.
16) RTW vom 7/8. 2.1933.
17) RTW vom 10./11. 3.1933.
18) BERGMANN, Heinrich: Meine Verfolgung durch das Nazi-Regime. Bad Trißl 1949, S. 44 ff.