Feste und Feiern

Die volkskundliche Vorgehensweise zur Erforschung von Festen und Feiern bietet eine ganze Reihe von Ansatzpunkten. Im Hinblick auf die Thematik „nationalsozialistische Feste und Feiern" erscheint es sinnvoll, diese als Abgrenzung vom Alltag, als Rhythmisierung des Alltags, des Arbeitsjahres zu sehen. Feste und Feiern können sowohl termingebunden, als auch anlaßgebunden sein; zu unterscheiden sind öffentliche und private Feste. Private Feste zu individuellen Terminen sollen in diesem Beitrag ausgeklammert werden, da bei der Dokumentation nationalsozialistischer Feste und Feiern jene mit öffentlichem Charakter nicht zuletzt aufgrund der Quellenlage - großteils Artikel der damaligen Lokalzeitungen - greifbarer sind.
Wesentliches Merkmal öffentlicher Feste ist der Einfluß übergeordneter Sozialstrukturen.1) Im Unterschied zur Feier, die eher auf bestimmte Gruppen abzielt, ist dem Fest ein offenerer Charakter zuzuordnen.
Jedes Fest, jede Feier besteht aus einem Komplex von Festelementen, wie etwa Umzug, Ansprache, Musik und Tanz, die für sich allein jedoch noch kein Fest, keine Feier ausmachen. Jedes Festelement hat seine eigene Geschichte, politische, wirtschaftliche und kulturelle Einflüsse bedingen den Wandel der einzelnen Elemente. Nationalsozialistische Feste und Feiern besitzen eine bestimmte Feststruktur, gekennzeichnet durch den Verbindlichkeitsgrad einzelner Festelemente. Neben der Übernahme traditioneller Feste und Feiern und deren Wandel durch Einflußnahme auf die Auswahl und Gestaltung der einzelnen Festelemente schuf das nationalsozialistische Regime auch neue Feste, wie etwa die Feier zu Hitlers Geburtstag.
Ein Blick auf einige wichtige Termine des Rosenheimer Festjahres während des Dritten Reichs zeigt, daß beinahe alle diese Feste und Feiern nach einem gleichförmigen Schema der Reihung bestimmter Festelemente - wie etwa Aufmärsche, politische Ansprachen, Umzüge und stereotypes musikalisches Programm2) - ablaufen.
Das Festjahr begann mit der Feier des Tages der Machtübernahme am 30. Januar 1933. Anläßlich des zehnten Jahrestages war für das mehrtägige Festprogramm vom 29. bis zum 31. Januar 1943 ein umfangreicher Sonderbefehl an die Rosenheimer Jugend mit genau festgelegtem Programm ergangen.3) Neben Verwundetenbetreuung durch den BdM und Kranzniederlegung an den Gräbern der „Blutopfer der Bewegung" und hochverdienter Parteigenossen kennzeichneten vor allem Großkundgebungen aller Ortsgruppen, Feierstunden der NSDAP und Appelle der HJ diese Festtage.
Den Tag von Potsdam, der Eröffnung des deutschen Reichstages am 21. März 1933, beging man in Rosenheim vor allem durch Feierstunden in den Schulen, mit Ansprachen der Schulleitung und musikalischem Rahmenprogramm „für die Jungen, die einst starke und treue Träger des neuen Reiches" werden sollten.4)
Am 20. April, dem Geburtstag Adolf Hitlers, wurde alljährlich in einer Feierstunde das Jungvolk in die HJ überführt.5)
Der 1. Mai, ursprünglich als Tag der internationalen Arbeitersolidarität gefeiert,6) wurde nun als Feiertag der nationalen Arbeit begangen. Das Festprogramm für den 1. Mai 1933 begann mit Weckruf, Flaggenhissung in sämtlichen Betrieben und Kundgebungen auf dem Max-Josefs-Platz, im Saal des Hotels Deutscher Kaiser und des Hofbräu. Während der Kundgebungen wurde an den genannten Orten auch eine Rundfunkrede von Reichsminister Goebbels mit Lautsprechern übertragen. Die Programmübersicht für diese Veranstaltungen7) reglementiert genau, welche Gruppen an den einzelnen Kundgebungsorten teilzunehmen hatten. Der Programmablauf des Nachmittags sah Standkonzerte der SS- und SA-Kapellen und einen Aufmarsch der deutschen Arbeiterschaft - beteiligt waren auch SA, SS, SA-Reserve, Motorsturm, HJ, BdM, Stahlhelm, NS-Beamtenschaft und Beamtenbund sowie der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes8) - vor. Am Abend folgten abermals Kundgebungen mit der Übertragung einer Rede Hitlers.
Am zweiten Sonntag im Mai folgte im öffentlichen Festwesen der Muttertag. 1939 verliehen Hoheitsträger der Partei bei einer öffentlichen, von der NS-Frauenschaft und ihrer Jugendgruppe organisierten Muttertagsfeier mit Kaffeestunde im Hofbräusaal erstmals an Mütter von vier und mehr Kindern das Mutterkreuz.9) Oberbürgermeister Gmelch hob in seiner Ansprache die Bedeutung dieser Auszeichnung hervor, die nichts gemein habe mit den käuflichen Orden früherer Zeiten und Regime. „Die Trägerin rückt ein in die Ehrenlegion der deutschen Mütter. Das beweist auch ein Befehl Baldur von Schirachs, daß jede Trägerin des Ehrenkreuzes in Zukunft von der deutschen Jugend gegrüßt werden muß."10)
Ein Höhepunkt im Festjahr war der mehrtägige Kreistag der NSDAP im Frühjahr / Anfang Frühsommer. Die Münchner Neuesten Nachrichten berichteten vom Kreistag 1939 in Rosenheim: „Den großen Abschluß des Kreistages bildete der Tag des Bekenntnisses. Der Festtag wurde eingeleitet mit einer nationalsozialistischen Feierstunde der Politischen Leiter, der Frauenschaft und des BdM und Besichtigungsappellen der Gliederungen und Verbände. Zum Höhepunkt wurde in den Mittagsstunden der Generalappell der Formationen und Verbände mit der Ansprache des Gauleiters. [...] Im Vorbeimarsch, den der Gauleiter Adolf Wagner vor dem Alten Rathaus abnahm, bekundeten die Männer im Braunhemd und die nationalsozialistische Jugend ihren Einsatzwillen. Ein fröhlicher und von der NS-Gemein-schaft Kraft durch Freude durchgeführter Festzug [...] vermittelte ein eindrucksvolles Zeugnis vom kulturellen, handwerklichen, und gewerblichen Schaffen der Bevölkerung. [...] Den Ausklang des ereignisreichen Tages schließlich bildete am Nachmittag die Veranstaltung ,Gesundes Volk - sportliches Volk', der die Siegerehrung durch den Gauleiter einen würdigen Abschluß verlieh."11)
Die Sommersonnwende feierte man - zum Fest der Jugend proklamiert -auf dem Schloßberg.12) Größten Raum im Festprogramm nahmen hierbei sportliche Wettkämpfe ein.13)
Wichtigstes Fest im Frühherbst war das Rosenheimer Herbstfest, damals noch mit Gewerbe- und Landwirtschaftsschau. Eröffnet wurde die Leistungsschau 1937 unter den Klängen der SA-Standartenkapelle 84 mit einer Rede vom „Reichsredner der NSDAP Parteigenosse Elsner von Gronow."14) Das Erntedankfest vereinnahmte das NS-Regime als „Tag des deutschen Bauern",15) auch Tag von Bückeberg, nach dem Massenspektakel auf dem Bückeberg bei Hameln, genannt. Das Festprogramm begann mit einem Festzug, bei dem 1935 auch folgende Gruppen teilnahmen: SA-Spielmannszug, SA-Standartenkapelle, HJ, Deutsches Jungvolk, BdM, die Deutsche Arbeitsfront und deren Fahnengruppe. Gegen Mittag fand wie immer auf dem Max-Josefs-Platz eine Kundgebung statt, zu der auch Soldaten angetreten waren.16) Höhepunkt des Tages bildete die Übertragung einer Rede Hitlers und des „Staatsaktes auf dem Bückeberg".17)
Am 9. November gedachte man der Opfer der „Blutzeugen der Bewegung".18) Das christliche Weihnachtsfest nannte man vereinzelt -auf germanische Ursprünge hinzielend - in Julfest um. Der Führer des SS-Sturmbannes I/34, August Fie-derer, lud zum Beispiel 1938 zu einer „Wintersonnwendfeier und anschließender Julfeier im Hofbräusaal" ein.19)
Neben diesen großen jährlichen Festen und verschiedenen kleineren, wie zum Beispiel nationalsozialistische Morgenfeiern,20) beging man selbstverständlich auch einmalige oder nicht alljährlich wiederkehrende Feste und Feiern. Stellvertretend für diese Veranstaltungen seien zwei Beispiele genannt. Einmal die Feier anläßlich der Ernennung Hitlers, Hindenburgs, Ritters von Epp und des gebürtigen Rosenheimers Göring zu Ehrenbürgern der Stadt, die Anfang April 1933 21)mit einer Feierstunde im Sitzungssaal des Rathauses, einem Aufmarsch und abendüchem Fackelzug begangen wurde. Zum zweiten dann die groß angelegte, mehrtägige Feier anläßlich des fünfzehnjährigen Bestehens der NSDAP-Ortsgruppe Rosenheim.22) Hierbei bildete den absoluten Höhepunkt des Festprogramms, das neben Feierstunde, großem Zapfenstreich, Heldenehrung, Totengedenken, musikalischen Darbietungen wiederum Propagandamarsch und Kundgebung auf dem Max-Josefs-Platz vorsah,23) der Besuch Hitlers, der damit die Zweitälteste Ortsgruppe der NSDAP ehrte. Das Rosenheimer Tagblatt Wendelstein vermerkt rund zehntausend Menschen auf dem Max-Josefs-Platz, die den Führer sehen und hören wollten. „Dieser Tag, der schönste für die Stadt am Inn seit vielen Jahren, konnte kerne herrlichere Krönung erfahren. [...] Er ist gekommen, er hat uns nicht vergessen; das soll jedem einzelnen in Rosenheim [...] Verpflichtung sein. [...] Er gehört zur Fahne, die die deutschesten aller Deutschen fünfzehn Jahre vorantrugen."24)
Die genannten Beispiele zeigen, daß sich das NS-Regime der Wirkung von Festen und Feiern als Mittel öffentlicher Erziehung sehr wohl bewußt war. Neben der vermeintlichen Ablenkung vom Alltag standen doch vor allem Intentionen im Vordergrund, die auf die Identifikation mit einem Begriff von Nation abzielte, der sich vom Feindbild absetzt. Die Eingrenzung der festfeiernden Gemeinschaft als Nation wurde durch die ständige Demonstration der nationalsozialistischen Idee durch Aufmärsche, Kundgebungen, Appelle, Ehrungen und dergleichen betont, neue Werte wie Zusammenhalt, Einheit, Vaterland und Familie sakralisiert. „Nationale Feiern, monumentale Selbstdarstellungen, die immer neue Folge von suggestiven Führer-Reden, Unter-haltungs-, Freizeit- und Kulturbetrieb [...] waren alles in allem aber nur Kompensation für den angestrengten Leistungswettkampf im Dritten Reich."25)
Festprogramme erschienen als Sonder- und Aufmarschbefehle,26) die oft Sätze wie die folgenden enthielten: „Ich erwarte ebenso in allen übrigen Veranstaltungen von allen Beteiligten eine saubere und disziplinierte Haltung."27) Oder: „Diese Kampflieder sind sofort gut einzuüben. Die Jugend muß sich am Singen mit Schwung beteiligen."28)Nicht nur auf die einzelnen Festelemente und ihre Kombination wurde Einfluß genommen, die Reglementierung reichte bis zu den Festrequisiten. Ein wichtiges Festrequisit waren Fahnen, die bei keinem größeren Fest, keiner größeren Feier fehlen durften. Das Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 schrieb eine Beflaggung mit der Hakenkreuzfahne an vielen Festtagen von sieben Uhr früh bis zum Einbruch der Dunkelkeit vor. Als eines der wenigen Beispiele, daß die Rezipienten nationalsozialistischen Festwesens nicht immer alle Reglementierungen widerspruchslos befolgten, kann das Verhalten der Rosenheimer Pfarrer gelten, die am 12. Februar 1936 entgegen der öffentlichen Anordnung erst nach Aufforderung durch die Schutzpolizei beflaggten.29)
Der fast immer gleiche, stereotype Ablauf verschiedener Feste und Feiern führte letztlich zur Erstarrung und Austauschbarkeit der einzelnen Festprogramme, sie erschöpften sich zunehmend in militärischem Zeremoniell. Feste und Feiern des Nationalsozialismus haben mit dem Idealfall eines Fests oder einer Feier, in dem alle Teilnehmer freiwillig miteinbezogen sind, in dem Spontaneität und persönliches Mitgestalten im Vordergrund stehen, nichts mehr gemein.

Elisabeth Rechenauer

Anmerkungen:

1) BIMMER, Andreas: Zur Typisierung gegenwärtiger Feste. In: Hessische Blätter für Volkskunde Bd. 4, Gießen 1977.
2) Bei fast keiner Feier, keinem Fest durfte das Absingen des Deutschlandliedes und des Horst-Wessel-Liedes fehlen. Vgl. StARo, Altregistratur IX A 1 - 331.
3) StAM, NSDAP 553.
4) RA vom 21. 3.1933. Einige Betriebe stellten ihre Arbeiter und Angestellten für mehrere Stunden frei, damit diese am Rundfunkgerät die Geschehnisse in Potsdam verfolgen konnten.
5) StARo, Protokolle B/N 1513.
6) BENZ, Wolfgang: Konsolidierung und Konsens 1934 - 1939. In: Ploetz. Das Dritte Reich. Ursprünge, Ereignisse, Wirkungen. Hrsg. von Martin Broszat und Norbert Frei. Freiburg, Würzburg 1983, S. 45 - 62, hier S. 60.
7) StARo, Altregistratur I A 1 - 89.
8) Ebenda. In einer Rückschau auf die wichtigsten Ereignisse des Jahres 1933 vermerkt das Rosenheimer Tagblatt Wendelstein zum 1. Mai: „Rosenheim feiert den Tag der nationalen Arbeit - Fünftausend beim nachmittäglichen Festzug." RTW vom 31.12.1933.
9) RA vom 22. 5.1939.
10) Ebenda.
11) Münchner Neueste Nachrichten vom 5. 6.1939.
12) RTW vom 31.12.1933.
13) Vgl. OSTLER, Bernhard: Propaganda und Presselenkung in Rosenheim. In: Rosenheim zur Zeit der Machtergreifung. Projektgruppe Zeitgeschichte Rosenheim. [Rosenheim] o. J., S. 41 f. Typoskript im StARo. Überhaupt band man die Jugend gerne mit Bann- und Gebietssportfesten ins nationalsozialistische Festgeschehen ein. StARo, Protokolle B/N 1513.
14) RA vom 18. 8.1937. Beim mehrtägigen Festbetrieb wirkten auch HJ und BDM mit.
15) Vgl. BROSZAT, Martin: Das weltanschauliche und politische Kräftefeld. In: Ploetz. Das Dritte Reich, S. 158 - 168, hier S. 166.
16) RA vom 2. 10.1935.
17) Ebenda.
18) RTW vom 31.12.1933.
19) StARo, Benutzerakt Nationalsozialismus I, Einladungskarte.
20) Ebenda, Programmzettel.
21) RTW vom 31.12.1933. StARo, Altregistratur IX A 1 - 331.
22) RTW vom 9. 8. und 12. 8.1935.
23) Ebenda.
24) RTW vom 12. 8.1935.
25) BENZ, Konsolidierung und Konsens, S.61.
26) StAM, NSDAP 96 und 553.
27) StAM, NSDAP 553.
28) Ebenda.
29) StARo, Altregistratur I A 1 - 99.