Elisabeth Block aus Niedernburg

Lisi Block wurde als Kind jüdischer Eltern am 12. Februar 1923 in Niedernburg bei Rosenheim geboren. Der Vater Fritz Block, von Beruf Diplom-Ingenieur, hatte als Flieger im Ersten Weltkrieg eine schwere Kriegsverletzung erlitten und konnte daher seinen Beruf nicht mehr ausüben. Die Mutter, die einer Hannoveraner Akademikerfamilie entstammte, betätigte sich künstlerisch und kunstgewerblich. Davon und von Landwirtschaft und Gartenbau lebte die Familie.
Seit ihrem achten Lebensjahr schrieb Lisi regelmäßig ein Tagebuch, das von Nachbarn aufbewahrt wurde und nach dem Kriege nach Israel bzw. England gelangt ist. Sie schildert darin ein harmonisches Familienleben, Ausflüge und Wanderungen, Schulfeste und bayerisches Brauchtum, Weihnachtsfeste mit Christbaum und Weihnachtsliedern - eine scheinbar ungestörte ländliche Familienidylle. Sie selbst zeigt sich als angepaßtes, fröhliches Kind, das besonderen Sinn für Natur und Tiere hat, das viele gute Kontakte zu anderen Kindern unterhält und liebevoll auf ihre jüngeren Geschwister Gertrud und Arno eingeht.
Die politischen Vorgänge seit 1933 scheinen ihr von den Eltern verheimlicht worden zu sein. Im März 1934 berichtet sie begeistert von einer Schulfeier, die mit dem Horst-Wessel-Lied beschlossen wurde. Enthusiastisch schildert sie den Parteifilm von 1935, der in der Schule gezeigt wurde. Es war der Parteitag der Nürnberger Gesetze. Noch am 11. März 1938 konstatiert sie „freudige Aufregung", als Österreich dem Reich einverleibt wird. Nachdem bereits eine Reihe von Verwandten emigriert war, bemühte sich auch die Familie Block um ein Visum nach Argentinien. Der Kriegsausbruch 1939 jedoch ließ diese Pläne scheitern.
Unvermittelt steht am 19. November 1938 der folgende Satz im Tagebuch: „Ich und auch Trudi und Arno dürfen nicht mehr zur Schule gehen. Mit furchtbar schwerem Herzen trennte ich mich von meinen lieben Mitschülerinnen."
Im gleichen Monat wird von der Ermordung eines Onkels in der „Reichspogromnacht" berichtet. Immer deutlicher tritt in den Notizen die bedrängte Lage zutage. Lisi schreibt, daß nun den Juden auch das Wandern in den Bergen verboten ist und wie sehr das Tragen des Davidsternes sie und vor allem ihren Vater belastet.
Bald darauf wird der Vater zur Zwangsarbeit im Eisenbahnbau verpflichtet, Lisi und ihre Schwestern müssen auf Bauernhöfen in der Umgebung arbeiten, wo sie allerdings gut behandelt werden und sich wohlfühlen. In seinen Briefen muntert der Vater Lisi auf und macht ihr Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
In den Tagebucheinträgen vom 19. und 20. Oktober 1941 wird hautnah spürbar, wie die Angst zum täglichen Begleiter geworden ist. Die Nachricht von der Deportation norddeutscher Verwandter erschüttert Lisi tief und läßt sie voll Zweifel in die Zukunft blicken.
„Entsetzlich dieses Ungewisse, diese Angst um sein bißchen Leben und beinah kein Ausweg, grauenhaft; nur noch an Gott kann man sich klammern und immer wieder bitten und nicht verzagen. Es kann doch nicht ewig mehr dauern, diese Zeit."
Am 26. Oktober 1941 heißt es: „Nur wenn ich länger nicht heimkomme, werde ich unruhig und schlimme Gedanken und Ahnungen wollen sich meiner bemächtigen; denn wie leicht könnte es sein, daß ich ein leeres Haus anträfe und ich nur noch allein Übriggebheben wäre! Es ist undenkbar grauenhaft und bedrückend. Man darf gar nicht an so etwas denken."
Im März 1942 wurden Frau Block und ihr Sohn Arno in das Sammellager München-Milbertshofen beordert, kurz vor Ostern folgten der Vater und die beiden Töchter. Über Berlin, wo die Koffer mit den wenigen Habseligkeiten abhanden kamen, wurde die Familie in das Lager Piaski verbracht. Zwei letzte Karten erreichten von dort die ehemalige Haushälterin der Familie, letzte traurige Zeugnisse von Menschen, denen ein verbrecherisches Regime und eine wahnwitzige Ideologie das Lebensrecht abgesprochen und sie wie über 9000 andere bayerische Juden ermordet haben. Lisi Block, die nur wenig über 19 Jahre alt geworden ist, hat mit ihrem Tagebuch ein Zeichen der Erinnerung gesetzt, das traurig macht und zugleich mahnt.

Manfred Treml