Flüchtlinge in Rosenheim

Noch bevor am 30. Januar 1946 der erste Transport von 200 Flüchtlingen aus dem Sudetenland in Rosenheim eintraf, hatte die Bayerische Landesregierung versucht, sich durch entsprechende Maßnahmen, wie der Errichtung einer Flüchtlingsverwaltung, auf die Flüchtlingswelle einzustellen, die infolge der Potsdamer Beschlüsse zu erwarten war.

Für Rosenheim waren als Unterkünfte für die Vertriebenen zunächst die umliegenden Kasernen (die Pionierkaserne Rosenheim, die Jägerkaserne Degerndorf, die Flak-Kaserne Stephanskirchen ) sowie das Posterholungsheim in Degerndorf vorgesehen, wovon jedoch kein Gebäudekomplex dieser Bestimmung zugeführt werden konnte, da er bereits von den amerikanischen Besatzungstruppen belegt war.
Somit musste auf die Errichtung von Wohnbaracken ausgewichen werden, von denen 1946 insgesamt zehn gekauft und aufgestellt wurden. Mit den ersten Transporten, die mit Viehwägen vom Zentrallager in München-Allach her abgewickelt wurden, wuchs die Zahl der Flüchtlinge, die in Rosenheim eintrafen, bis Ende Juni 1946 auf 2.937 Personen an, zum Jahresende waren es 3.832 für den Bereich der Stadt Rosenheim. Zudem waren noch 8.357 Flüchtlinge im Landkreis untergebracht.

Die Hauptzahl der Vertriebenen stammte aus der Tschechoslowakei und dem Sudetenland sowie aus den ehemaligen deutschen Reichsgebieten östlich der Oder und Neiße; den kleineren Teil stellten Personen aus Ungarn und anderen südosteuropäischen Gebieten. Zu diesen, im Zuge der Potsdamer Beschlüsse ausgewiesenen, kamen noch etwa 200 andere Personen, die sich bereits während des Krieges infolge von Evakuierungen und Fluchtbewegungen vor den anrückenden feindlichen Armeen in Rosenheim aufgehalten hatten, sodass der hiesige Flüchtlingskommissar die insgesamte Zahl der ausgewiesenen Deutschen und östlichen Flüchtlinge auf etwa 4.000 festlegen konnte.

Bis 1960 stieg die Zahl der Flüchtlinge im Stadtgebiet auf über 7.000 Personen, was einen Anteil an der städtischen Gesamtbevölkerung von 23 % ausmachte. War die Situation in der Stadt in Bezug auf die Wohnungsmöglichkeiten und das Vorhandensein von Baumaterial ohnehin prekär genug, so stieß auch die Unterbringung der Flüchtlinge schnell an ihre Grenzen, abgesehen von den hygienischen und ernährungsbedingten Problemen. Schon bald reichten die Baracken nicht mehr aus, die Flüchtlingsmassen aufzunehmen.
In den Monatsberichten der Stadt Rosenheim an den Regierungspräsidenten in München ist durchweg von dem katastrophalen Wohnungsmarkt und der schwierigen Unterbringung der Flüchtlinge die Rede. Die Flüchtlingskommissare sahen sich dazu veranlasst, neben der Einrichtung neuer Unterkünfte in Gasthäusern (darunter auch das Flötzinger Löchl), der Realschule und einer Lagerhalle an der Brückenstraße, auch Zimmer in Privatwohnungen zur Einquartierung der Flüchtlinge zu requirieren. Besonders diese Zwangsmaßnahmen auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft wirkten bedrückend. Da die Flüchtlinge bis zur kalten Jahreszeit in geordnete Wohnungen untergebracht werden sollten, wurden private Wohnräume beschlagnahmt.
Das Zusammenpferchen der Familienangehörigen und das zusätzliche Hineinstopfen von Fremden in oft kleine Wohnungen führte zu fortgesetzten Reibereien und einer Flut von Beschwerden.

Ein weiterer Flüchtlingszustrom während der Jahre 1947 bis 1949 (etwa 2.000 Vertriebene) veranlasste neben der Errichtung und dem Ausbau von Durchgangslagern auch die Einführung von Wohnlagern, die aber meist nur für kurze Zeiträume Bestand hatten. Zu ersteren zählten neben dem Flötzinger Keller am Roßacker und dem Hofbräu Westerndorf vor allem das Holzhof-Lager an der Wittelsbacher Straße und der Pernlohner Keller, die die größten Lager in Rosenheim waren. Als Wohnlager waren das Stammlager Stephanskirchen und die Altersheime Törwang und Hohenaschau registriert.
Während diese Lager meist zu Beginn der 1950er Jahre wieder aufgelöst bzw. anderen Zwecken zugeführt wurden, bestand an der Äußeren Münchener Straße noch ein der Stadtverwaltung unterstehendes Barackenlager, das bis in die 1960er Jahre bewohnt wurde.

Zum großen Teil waren die Zustände in den Lagern verheerend. Im September 1948 kam es im Holzhof zu einem Hungerstreik und einem Protestmarsch der Flüchtlinge, die auf die menschenunwürdige Unterbringung in den feuchten, stellenweise undichten Baracken hinweisen wollten. Die Unterkünfte waren teilweise verschimmelt, auch von Motten, Mäusen und Ratten wurde berichtet.
Nach der Protestaktion der Holzhofbewohner befasste sich der Stadtrat mit den Zuständen in diesem Durchgangslager und leitete eine Entwicklung ein, die schließlich zu einem groß angelegten Siedlungsprogramm in der Erlenau führte. In Zukunft sollte freiwerdender Wohnraum bevorzugt den Bewohnern des Holzhofs angewiesen werden.
Statt die Baracken durch Investitionen in Notwohnungen umzuwandeln, wies die Stadt in der Erlenau ein Gelände aus, auf dem eine Wohnsiedlung für die Heimatvertriebenen gebaut wurde.

Bis 1951 war der Holzhof schließlich geräumt und wurde abgebrochen. Schrittweise gelang so die soziale Integrierung der Flüchtlinge. Ein wichtiger Schritt dazu war auch das berufliche "Fußfassen". Der Landkreis Rosenheim war im wesentlichen ein Agrargebiet mit bäuerlichen Familienbetrieben. Die Industrie war hauptsächlich holz- und metallverarbeitend. Bei der Verteilung der Flüchtlinge wollte man ursprünglich ihren Beruf berücksichtigen, ein Plan, der allerdings nicht befolgt wurde. Die Verteilung geschah rein zahlenmäßig. Deshalb hatten viele Vertriebene Berufe, die sie in Rosenheim nicht ausüben konnten (zum Beispiel Bergbauarbeiter). So mussten viele Flüchtlinge berufsfremde Tätigkeiten ausüben.

Dabei zeigte sich ihre Flexibilität und ihr Unternehmergeist. Allein zwischen 1947 und 1948 gab es 50 Betriebsgründungen, vor allem Uhrmacher, Schmuckgeschäfte, Apotheken, zahlreiche Schneiderbetriebe, Friseure etc. Besonders erfolgreich wurden das Möbelhaus Watzka, die Schuh Herto GmbH, Glas Feix und die Firma Krebs. Die Vertriebenen leisteten in Rosenheim gewaltige Aufbauleistungen, ohne die Rosenheim nach dem zweiten Weltkrieg nicht seinen industriellen Stand hätte erreichen können.