Ehrenbürger Theodor Gietl

In der Reihe der Rosenheimer Ehrenbürger wird bewußt Paul von Hindenburg ausgeklammert. Es war seinerzeit wohl eine routinemäßige Geste dem Reichspräsidenten gegenüber, und es lagen keine Verdienste für unsere Heimatstadt als Anlaß zugrunde.

Daß man nicht ein „hohes Tier" zu sein braucht, um dieser Ehrung zuteil zu werden, bewies Theodor Gietl. Durch sechs Generationen übten die Gietls das Glaserhandwerk aus. Im Jahre 1762 ließ sich der Glasergeselle Ignaz Güettl aus Aichach im Markt Rosenheim nieder und erwarb sich durch Verheiratung mit der Tochter des Glasers Egger die „Handwerksgerechtigkeit".

„Seit dieser Zeit", so hat es Archivrat Aschl festgehalten, haben die einzelnen Generationen dieser Familie immer regen Anteil am öffentlichen Geschehen genommen und sind besonders in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts oft entscheidend für die Entwicklung der Stadt hervorgetreten".

Theodor Gietl setzte einen würdigen Schlußpunkt am Ende dieser tüchtigen Geschlechterreihe. Er wurde durch das Vertrauen seiner Mitbürger 1924 in den Stadtrat gewählt und hat fast ein Jahrzehnt die Position als Zweiter Bürgermeister dazu benützt, die Zukunft Rosenheims günstig zu beeinflussen. Dabei hat er die Arbeit zum Wohle der Allgemeinheit in vornehmer Zurückhaltung und großer Bescheidenheit geleistet.

Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Glasermeister, und diese erstreckte sich bis ins hohe Alter, setzte sich Theodor Gietl sehr für den Handwerkerstand ein. Ganz besonders aber widmete er sich dem Nachwuchs. Da zu dieser Zeit das Ausbildungswesen noch sehr im argen lag, war dieses Engagement besonders segensreich für die Jugend. 15 Jahre lang war Gietl Prüfungsvorsitzender des Kreishandwerks. Hier ebnete er manchem verschüchterten Lehrling durch Milde und Verständnis den Weg ins Berufsleben. Auf Vorschlag aus dem Bürgermeisteramt wurde bei der bayerischen Staatsregierung 1926 die Ernennung zum Gewerberat erwirkt.

Seinem zurückhaltenden Wesen entsprechend, lag ihm das Leben im familiären Kreise näher als das in der Öffentlichkeit. Trotzdem versagte er seine Hilfe nicht, wenn man ihn rief. So fungierte Theodor Gietl jahrzehntelang als Schriftführer der Freiwilligen Feuerwehr.

Das ganze Leben hindurch arbeitete er im Allgemeinen Gewerbeverein mit, der die Interessen aller Gewerbetreibenden vertrat. Die Stadt Rosenheim hat ihm 1952 die Bürgermedaille verliehen. Als äußeres Zeichen der Anerkennung und Hochachtung wurde im Rahmen einer feierlichen Stadtratssitzung Weihnachten 1955 die Ehrenbürger-Urkunde mit nachstehendem Wortlaut überreicht: „Der Stadtrat hat in seiner Sitzung vom 21. Dezember 1955 einstimmig beschlossen, seinen verdienten Mitbürger, Herrn Gewerberat Theodor Gietl, den unermüdlichen Förderer des heimischen Handwerks und stets hilfsbereiten Mitarbeiter am wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung unserer Stadt, in Anerkennung seiner großen Verdienste zum Ehrenbürger zu ernennen. In tiefempfundener Dankbarkeit dess zur Urkund."

Die Handswerkskammerpräsident von Oberbayern, MdL Schmid, bezeichnete den Geehrten als wahres Vorbild für das gesamte Handwerk. Mit Idealismus hat er noch als Veteran unzählige Stunden und Tage der Allgemeinheit geopfert und damit der Jugend ein hervorragendes Beispiel gegeben.

Der am 25. April 1877 Geborene entschlief am 18. Oktober 1961. Theodor Gietl fand seine letzte Ruhestätte auf dem Rosenheimer Friedhof.

Text von Helmut Braun aus der Broschüre "Die Ehrenbürger der Stadt Rosenheim", Hrsg. Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank Aktiengesellschaft, München, 1983.