Ehrenbürger Josef Wüst

"Undank ist der Welten Lohn", dies ist auch der heutigen Generation nicht fremd. Nach 30 Jahren Wirkens als hochverdienter Bürgermeister der Stadt Rosenheim wurde Hofrat Josef Wüst an einem trüben Februar-Nachmittag des Jahres 1919 von „Diktator" Kopp, der mit seiner Horde vor das Rathaus zog, zum Rücktritt gezwungen. Josef Wüst, der auch über die schweren Jahre des Ersten Weltkriegs hinweg die vermehrte Arbeit und Sorge für seine Bürger vorbildlich auf sich nahm, dem Rosenheim so viel zu verdanken hatte, wurde zum Märtyrer gemacht. Er zeigte sich als wahrhaft apostolische Persönlichkeit, die Unrecht, Undank und Groll beiseite schob, als die Nachkriegswehen vorübergehend einer politischen Stabilisierung Platz machten.

Die beiden städtischen Kollegien hatten ihn am 29. April 1889 nach zwei Jahren rechtskundiger Bürgermeistertätigkeit zum Bürgermeister von Rosenheim gewählt. Pflichteifer und Gewissenhaftigkeit, Arbeitsfreude und Zuvorkommenheit begleiteten stets sein Schaffen und Wirken. Unter seiner Administration wurden die Volksschulen gut ausgestattet, gab es eine Aufwärtsentwicklung bei den Mittelschulen und angegliederten Instituten. Die „Töchterschule" wurde errichtet genauso wie das Elektrizitätswerk und das Gaswerk. Unter Bürgermeister Wüst wurde es hell in Rosenheim; die elektrische Straßenbeleuchtung war sein Anliegen. Er ließ auch Grünanlagen gestalten und Alleen pflanzen. Die Hochdruck-Wasserleitung, die Kanalisation, den inneren Ausbau des Krankenhauses - all dies förderte und pflegte der äußerst aktive Hofrat in seiner Amtszeit. Handel und Handwerk und das einheimische Gewerbe unterstützte er nach Kräften.

Ein Zeitgenosse urteilte so über Josef Wüst: „In der Verwaltungstätigkeit sah der Hofrat seinen Aufgabenkreis nicht erschöpft. Lange Jahre stand er an der Spitze des Verschönerungsvereins. Was der Hofrat Wüst dem Männernverein vom Roten Kreuz gewesen und was er namentlich in der langen Zeit des Krieges für das Wohl unserer Bürger getan, das kann nur der ermessen, der dieses Mannes warmes Mitempfinden für seine armen und bedrängten Mitmenschen kennt. Sanitätskolonne und Feuerwehr verehren heute noch in ihm einen eifrigen Förderer. Auch das Gebiet der Kunst dankt ihm viel. Fällt doch die Stiftung der Gemäldegalerie und ihre geschmackvolle Einrichtung gerade in seine Zeit. Sehr viel tat er auch für den Kunstverein und den Historischen Verein." Die Laudatio schildert den Hofrat im persönlichen Verkehr als durchaus angenehm, ja sogar liebenswürdig und zuvorkommend. Besonders hervorgehoben wird seine ausgeprägte Gerechtigkeitsliebe. Das Vertrauen der Bürger entsandte Josef Wüst in den Oberbayerischen Landrat, wo sein Wort großen Einfluß hatte. Auch nach der Beendigung seiner Bürgermeister-Dienstzeit wirkte der Hofrat in stiller und ungemein segensreicher Caritas. Mit doppeltem Eifer widmete er sich dem Dienst an Notleidenden und Armen. So freute sich die Gesamtbevölkerung Rosenheims, daß der Stadtrat in seiner Sitzung vom 29. Oktober 1925 durch die Verleihung des Ehrenbürgerrechts eine glänzende Rehabilitierung des Mannes vornahm, dessen Lebenswerk „seinem" Rosenheim galt. Aus der kleinen, ruhigen Landstadt ist die beachtliche Innmetropole während seiner Amtszeit geworden.

Neben seiner Ehefrau und seinen zehn Kindern trauerte am 26. Mai 1929 eine ganze Stadt voller Dankbarkeit und Hochachtung um ihren Ehrenbürger, Altbürgermeister Hofrat Josef Wüst.

Text von Helmut Braun aus der Broschüre "Die Ehrenbürger der Stadt Rosenheim", Hrsg. Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank Aktiengesellschaft, München, 1983.