Franz Xaver Simson der Portraitphotograph

Im Gegensatz zu anderen Photographen hatte sich Franz Xaver Simson fast ausschließlich auf das Fertigen von Portraitstudioaufnahmen spezialisiert. Seine Photographenkollegen wie zum Beispiel Wilhelm Knarr und Kaspar Frank scheinen viel Außenaufnahmen getätigt zu haben - teilweise auch in öffentlichem Auftrag. So sollte Kaspar Frank für den Stadtmagistrat eine Stadtchronik bebildern; unter anderem photographierten Frank und Knarr die Hochwasserkatastrophe 1899 und die in der Stadt und Umgebung angerichteten Schäden 1).

Beide Photographen nahmen auch sehr viel Gebäudeansichten auf und photographierten bei größeren Anlässen wie dem Rosenheimer Volksfest. Diese Konkurrenzsituation wird für Franz Xaver Simson aber sicher nicht ausschlaggebend gewesen sein, sich hauptsächlich auf Portraitaufnahmen zu spezialisieren.

Mit eine Rolle hat die technische Ausrüstung gespielt; für Außenaufnahmen mußte eine andere Kamera als für Studioportraits zur Verfügung stehen. Beim damaligen technischen Stand der Photographie waren Außenaufnahmen durch das Trägermaterial (Glasplatten) auch recht umständlich durchzuführen. Ein weiterer Aspekt mag für Simson auch der Geschäftsablauf gewesen sein. Im Alleinbetrieb mußte ein Photograph sein Atelier während der besten Belichtungszeiten tagsüber schließen, wenn er im Freien photographieren wollte.

Eine Ausnahme waren Außenaufnahmen, die Simson vor seinem Atelier anfertigen konnte wie zum Beispiel die Photographie eines Kutschers mit Einspänner 2), die besonders deshalb interessant ist, weil sie im Hintergrund eine Teilansicht des Simson'schen Ateliers zeigt.

Beliebt waren diese Aufnahmen im Hof vor dem Atelier offensichtlich für Bilder von Fahrzeugen, die der stolze Besitzer in voller "Aktion" vorführen wollte. Im normalen Straßenverkehr war so eine Aufnahme zu umständlich, abgesehen von der Behinderung durch Schaulustige und dem aufwendigen Transport der Kamera. Deshalb bot sich der Innenhof vor dem Atelier für solche Photographien an; ein Motoradbesitzer ließ sich mit dem - vermutlich neuen - Gefährt ebenfalls so ablichten 3).

Ansonsten mußte sich Simson für Außenaufnahmen immer mehr oder weniger weit von seinem Atelier entfernen; gerade in seiner Anfangszeit konnte sich Franz Xaver Simson das aber sicher nicht leisten.

Auch bedeutete Portraitphotographie einen festen Kundenstamm, wohingegen die Abnehmer von Aufnahmen öffentlicher Gebäude oder Ereignisse eher unsicher waren.

Der Hauptgrund für Simsons Spezialisierung auf Personenaufnahmen war aber sicher mentalitätsbegründet. Nach den Erinnerungen einer Enkeltochter war Franz Xaver Simson vor allem ein "künstlerischer" Photograph, der sich den Maßstab setzte, künstlerisch hochwertige Aufnahmen zu tätigen und dies nur bei der Studiophotographie gewährleistet sah, Simson scheint Außenaufnahmen recht gering eingeschätzt zu haben, wie er auch eine große Abneigung gegen Amateurphotographie hatte, die er als "unter Niveau" betrachtet haben muß. Dies warauch der Grund, warum in den 1930er und 40er Jahren das Atelier Simson keine Filiale für die Filmentwicklung von Amateurphotographen unterhielt, wie sie bei anderen Photographen, zum Beispiel bei Wilhelm Knarr, durchaus üblich war.

Ungeachtet seiner Spezialisierung hat Franz Xaver Simson neben reinen Portraitphotographien aber auch andere Aufnahmen getätigt. Im folgenden soll anhand der bisherigen Auswertung des Nachlasses (zeitlich beschränkt allerdings auf die frühe Zeit in Rosenheim 1895 bis 1918) das Spektrum von Simsons Tätigkeit dargestellt werden.

So läßt sich seine Arbeit in drei grundsätzliche Typen einteilen: die Außenaufnahme von Landschaften, Personen, Gebäuden und Ereignissen, die Nachphotographie eigener oder fremder Bilder und Negative, und die Studioaufnahme, wobei hier neben Personenportraits auch andere Aufnahmen, zum Beispiel technische Geräte oder Werbeaufnahmen für Firmen gefertigt wurden. Prozentual gesehen machen die Studioaufnahmen, und hier wiederum die Personenphotographie, den größten Anteil von Simsons Arbeit aus (etwa 80 %).

Dabei müssen Nachphotographien von eigenen Platten - ebenfalls Personen - mitgerechnet werden.

Lediglich ein Fünftel aller Photoplatten enthalten Außenaufnahmen und nur ein sehr geringer Teil sind Nachphotographien von fremden Photographen.

Außenaufnahmen

Das Spektrum an Außenaufnahmen ist bei Franz Xaver Simson also nicht besonders groß.

Personenportraits, die nicht im Studio gefertigt wurden, sind sehr selten. Ab und zu wollte sich aber jemand im eigenen Garten oder vor dem eigenen Haus ablichten lassen. So entstanden zum Beispiel Aufnahmen, wie die der Familie Harpe beim Kaffeetrinken im Garten oder die eines Mädchens mit Puppenwagen vor dem Haus. Ebenso photographierte Franz Xaver Simson aber auch Personen in Privatwohnungen, so daß auch Einblicke in die bürgerliche Wohnkultur der Jahrhundertwende möglich sind.

In diesem Zusammenhang sind vor allem Photographien interessant, die Wohnräume in der Gesamtansicht zeigen. Hier existieren zum Beispiel einige Aufnahmen aus der Wohnung von Kommerzienrat Schweighart 4), die Vorstellungen von der Einrichtung, den Räumlichkeiten und Details geben. Aber nicht nur Innenaufnahmen wurden von Kunden in Auftrag gegeben. Beliebt waren auch Aufnahmen des eigenen Hauses, wobei diese Bilder vor allem interessant sind, weil sie verschiedene Haustypen und Hofformen (sowohl ländlich, als auch städtisch) zeigen, in einigen Fällen sogar neue technische Hofanschaffungen wie eine Dreschmaschine oder ein Pferdegespann vor einem Hof. Damit dokumentiert sich auch der ländliche Arbeitsbereich vor dem Ersten Weltkrieg.

Neben bestellten Gebäudeaufnahmen von Privatkunden scheint Simson aber auch Aufträge vom Magistrat oder öffentlichen Institutionen gehabt zu haben, bestimmte Gebäude wie Rathaus, Schulen oder Kirchen zu photographieren.
Auch hier hat er sowohl Außen-, als auch Innenaufnahmen getätigt, wobei zum Beispiel auch technische Details wie die Heizanlage der Präparandenschule und die des Humanistischen Gymnasiums photographiert wurden.

Daneben fertigte Simson auch mehrere Gesamtansichten von Rosenheim aus verschiedenen Perspektiven; ebenso machte er Aufnahmen von bestimmten Ereignissen wie der Einweihung des Kriegerdenkmals 1870/71 im Juni 1907 oder vom Markttreiben auf dem Ludwigsplatz. Ob es hier einen bestimmten Auftraggeber (z.B. das Verlagsgeschäft) gab oder ob Simson diese Aufnahmen aus persönlichem Interesse machte, läßt sich nicht mehr feststellen.

Gleiches gilt für Landschaftsaufnahmen am Inn und am Simssee, die möglicherweise bei Familienausflügen entstanden sind. Eine Reihe von Bildern von der Römerstraße bei Pfunzen (Doblergraben) hat Simson allerdings im Auftrag des Historischen Vereins für einen Vortrag des Gymnasialprofessors Bürkmayr gefertigt 5).

Ein weiteres Spektrum bei den Außenaufnahmen sind die für Werbezwecke bestellten Photographien. So entstand eine Aufnahmeserie von Ausstellungsständen auf der Gewerbeausstellung am Rosenheimer Volksfest 1909 jedenfalls sicher im Auftrag des jeweiligen Ausstellers.

Eine Innenaufnahme des Cafes Gareis in der Bahnhofstraße wird ebenfalls im Auftrag des Geschäfts zu Werbezwecken entstanden sein.

Als Reklame hat Simson auch Schaufenster von Geschäften, beispielsweise des Kaufhauses Wilhelm, photographiert. Neben diesen Reklame- Außenaufnahmen konnte Franz Xaver Simson auch im Studio auf Wunsch des Kunden Werbebilder anfertigen. Beispielhaft sollen hier nur die Photographie einer Glaslampe des Geschäftes Gietl und ein Reklamebild für ein Hutgeschäft genannt werden.

Werbeaufnahmen, die Auftragsphotographie waren, sicherten jedenfalls den Absatz dieser Bilder, was bei Außenaufnahmen so nicht immer der Fall gewesen sein mag.

Nachphotographien

Simson versicherte mit dem Rückseitenaufdruck seiner Photographien, daß die (Negativ)Platte zu Nachbestellungen aufbewahrt würde. Weitere Abzüge waren also bei Bedarf Immer möglich. Es wurde einfach von der im Photographenarchiv befindlichen Negativplatte ein weiterer Posllivabzug gefertigt.

Aber auch wenn die Negativplatte nicht mehr auffindbar war, weil der Kunde zum Beispiel die Plattennummer nicht aufbewahrt hatte und ein Suchen über den Nachnamen aus Zeitgründen nicht möglich war (vor allem bei gängigen Namen wie Meier oder Huber), konnte der Kunde von seinem Bildabzug ein Positiv haben; Simson mußte eben vom Abzug nochmals ein Negativ anfertigen. Die Qualität der Platte und des Abzuges waren dann allerdings nicht mehr so gut wie ein Originalnegativ. Das gilt naturllch auch für Nachphotographien von Bildern anderer Photographen, die der Kunde bei Simson ebenfalls
bestellen konnte. Teilweise handelte es sich dabei um bereits vergilbte und verblichene Photographien, so daß der Bildinhalt nur recht unscharf zu erkennen ist.

Interessanterweise haben sich so sehr frühe Bilder von Rosenhelmer, aber auch auswärtigen Photographen erhalten wie etwa eine Photographie des in den 1880er Jahren In Rosenheim tätigen Photographen Ernst Oehme oder ein Bild des Würzburger Photogeschäfts Samson & Co von etwa 1905 6).

Studioaufnahmen

Der Hauptteil von Simsons Arbeit bestand im Anfertigen von Studioaufnahmen, und hier vor allem von Portraitaufnahmen - ein Bereich, auf den sich Franz Xaver Simson wohl schon in seiner Lehrzeit im elterlichen Geschäft in Dillingen spezialisiert hatte. Die Portraitaufnahme im Studio war immer eine Auftragsphotographie, die vom Kunden meist zu einem bestimmten Zweck gewünscht wurde. Die Nachfrage bestimmte also das Tätigwerden des Photographen. Außer Personen konnten im Studio natürlich auch Geräte oder Modelle aufgenommen werden, was allerdings im Verhältnis zur Portraitphotographie selten war.

Portraitaufnahmen

"Die Photographie hat ihren Aufschwung einzig und allein dem Porträtfache zu verdanken. Die Eitelkeit und Eigenliebe des Menschen haben, wie ich schon an einem anderen Orte erwähnte, als zwei mächtige Leidenschaften, unserer Kunst auch mächtigen Vorschub geleistet". So schrieb Anton Georg Martin, der bereits in den 1840er Jahren als Reisephotograph unterwegs war und sich später als Verfasser des ersten deutschsprachigen Lehrbuchs der Photographie hervortat, im Jahre 1865 7). In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts kam außerdem eine photographische Mode auf, die der Portraitphotographie ihren großen Aufschwung ermöglichte: das Photoalbum und die Visitkartenformate der Bilder. Damit waren nun private Bildersammlungen möglich, die - in Form von Sammelalben - den eigenen Lebenslauf über Jahre hinweg dokumentieren wollten. Photoalben wurden so zu bebilderten Familienchroniken über Generationen hinweg.

Familienbilder

Die Familienbilder meinen nicht nur Photographien, auf denen sich die ganze Familie ablichten ließ, auch wenn solche Gruppenbilder häufig vorkamen. Oft ließen sich sogar drei Generationen zusammen aufnehmen. Da es sich bei den Familienbildern immer um Erinnerungsstücke oder Geschenke handelte, waren aber alle Zusammenstellungen - Eltern mit Kindern, Großeltern mit Enkeln, nur die Kinder - oder auch Einzelaufnahmen der Ehefrau, des Gatten oder der Kinder möglich. Auch der Hund wurde als Familienmitglied - allein oder mit den Kindern - photographiert. Ausschlaggebend für das Portrait war der Wunsch des Kunden. Familienbilder dokumentieren damit für die Nachkommen den familiären Lebenslauf der Generationen "von der Wiege bis zur Bahre". So finden sich Bilder von Babys, Kleinkindern, "Teenagern", der Verlobten oder des Ehegatten bis hin zu den Sterbebildern auf dem Totenbett. Letztere waren natürlich "Außenbilder", die nicht im Studio aufgenommen werden konnten.

Anlaßphotographie

Eng mit dem Typus der Familienbilder ist die Anlaßphotographie verbunden, bildwürdige Stationen im Lebenslauf, die als besondere Einschnitte oder Übergänge zwischen Altersstufen und gesellschaftlichen Verhältnissen galten und gefeiert wurden. Eine entsprechende Dokumentation leisteten sich auch ärmere Schichten - Photographieren war schließlich nicht billig. Doch "gehörte es sich einfach", bei der Kommunion oder Firmung mit dem Firmpaten zum Photographen zu gehen. Ebenfalls ein zwingender Anlaß für ein Photo war die Trauung, wobei sich die soziale Schichtung des Brautpaares allein über die Kleidung der Braut feststellen läßt. Vom üppig verzierten weißen Spitzenbrautkleid, über das bessere Festtagskleid, das lediglich durch einen weißen Schleier zum Brautkleid umfunktioniert wurde, bis hin zum schwarzen Sonntagsg'wand ohne Schleier reicht das Spektrum der Hochzeitskleider. Natürlich konnte es sich ein ärmeres Mädchen nicht leisten, für die Trauung eigens ein weißes Brautkleid zu kaufen. So heiratete es eben in seinem - meist schwarzen - Sonntagskleid. Wer die nötigen Mittel hatte, ließ auch von Ehejubiläen (Silberne oder Goldene Hochzeit) ein Photo aufnehmen. Speziell den besseren Schichten vorbehalten blieben Einzelportraits zum Bereich Schule und Studium. Der Schulabsolvent des Gymnasiums und der Realschule oder das Mitglied einer Studentenverbindung gehörte jedoch meist zur wohlhabenden Klasse, die hauptsächlich bei Simson arbeiten ließ. So kommen diese "Absolvia"-Einzelportraits im Studio im Gegensatz zu Klassenphotos recht häufig vor.

Tracht

Sowohl den Familienbildern, als auch den Anlaßphotographien zuzuordnen sind die zahlreichen Trachtenaufnahmen, die sich bei Franz Xaver Simson finden. Dabei handelt es sich nicht um eine vom Photographierten beabsichtigte Besonderheit. Das Trachteng'wand war für ein Großteil der ländlichen Bevölkerung die bessere Kleidung, die man zu dem besonderen Anlaß des Photographierens eben anlegte. Daneben gibt es natürlich auch Bilder von besonderer Festtracht. 

Ganz anders verhielt es sich in Orten mit bereits gewachsenem Fremdenverkehr: so bot 1900 der Miesbacher Photograph Georg Pöltl, wohl vor allem für norddeutsche Sommerfrischler, die Bereitstellung von Kostümen in oberbayerischer Gebirgstracht für Damen, Herren und Kinder an 9).

Inszenierte Wirklichkeit findet sich aber auch bei Franz Xaver Simson: so existieren Studiophotographien von Burschen beim Schuhplatteln 10) oder von zwei Frauen mit Enzianfäßchen vor der Almkulisse 11).

Arbeit und Beruf

Aufnahmen von Personen in Berufskleidung sind im Studio sehr selten. Photographie war etwas Feiertägliches, Besonderes, das den Photographierten daran hinderte, sich in Berufskleidung bei der Arbeit aufnehmen zu lassen.

Bilder von Arbeitern hat Simson nie aufgenommen, wobei hier nicht unbeachtet bleiben darf, daß diese Bevölkerungsschicht wohl auch nicht zum Hofphotographen gegangen wäre. Der Begriff "Arbeit und Beruf" ist damit auf die höheren Klassen und deren Berufstätige zu beziehen, also höhere Beamte in ihrer Amtsuniform, Berufsoffiziere oder auch die Geistlichkeit. Gerade in letzterem "Berufszweig" sind auch Frauen vertreten wie die Photographie einer Nonne oder die Aufnahmen von Armen Schulschwestern an der Töchterschule verdeutlichen. Ansonsten blieben Frauen in Bezug auf Arbeit auf den häuslichen Bereich beschränkt; allerdings existieren dazu einige Aufnahmen von weiblichem Hauspersonal.

Soziale Einbindung in die Gesellschaft

Beispielhaft für diesen Bereich sollen zwei typische, bei Franz Xaver Simson sehr häufig vorkommende Photographie-Inhalte genannt werden: die Gruppenaufnahme eines Vereins und die einer Theatergemeinschaft.

Der Bezug zum Theater war über Franz Xaver Simsons Frau Babette, die selbst private Theaterinszenierungen leitete, gegeben. So existieren neben Gruppenaufnahmen auch Einzelportraits von "Darstellern"- meist in Kostümen. Unabhängig vom Theater waren Kostümaufnahmen, vor allem für Kinder, sehr beliebt.

Neben Theater sind auch Gruppenportraits von Vereinen für die soziale Einbindung des Individuums in die Gesellschaft beispielhaft. Vor allem Burschenvereine aus dem Landkreis ließen sich bei Simson ablichten. Gehäuft kommen diese Aufnahmen kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges vor. Zur Musterung im Januar 1915 gingen viele Burschenvereine vorher noch einmal zum Photographen.

"Militaria"

Einen sehr wichtigen Abschnitt auch im Arbeitsfeld von Franz Xaver Simson stellt die Militärzeit und hier besonders der Erste Weltkrieg dar, der die Lebensverhältnisse der alten Zeit völlig veränderte.

Vorweg ist zu bemerken, daß das Militär in der Zeit seit dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 und der Gründung des Kaiserreichs hohes Ansehen genoß. Damit wird auch verständlich, warum sich nicht nur Berufsoffiziere, sondern auch Reservisten während ihrer Dienstzeit gern und häufig photographieren ließen. Als Uniformträger ließ man sich nicht nur irn Einzelportrait, sondern auch in der Familiengruppe ablichten. Der hohe Stellenwert, der dem Militär zugedacht war, zeigt sich auch in den sogenannten Soldierboy-Aufnahmen; dabei wurden Knaben in - oft phantasievoll ausgeschmückte - Uniforrnen gesteckt, die ein renommierter Photograph zur Verfügung halten mußte.

Mit dem Ersten Weltkrieg veränderte sich das Photographie- Angebot bzw. erschlossen sich neue Kategorien. Es entstanden die Feldaufnahmen, entweder von Amateur- oder von Feldphotographen gefertigt, die typische Situationen des Krieges festhielten: Schützengräben, Stellungen hinter der Frontlinie, Lazarette, aber auch Soldatengräber. Daneben gab es auch das Photo aus dem Kriegsgefangenenlager, um den Familienangehörigen ein Lebenszeichen zukommen zu lassen. Diese Bilder wurden später von Simson im Auftrag des Kunden nachphotographiert. Im Studio entstanden vor allem Bilder von jungen Frauen, Müttern mit Kindern und Frauen im Kriegsd ienst als Andenken für den Soldaten im Feld. Dieser ließ sich, wenn er auf Urlaub kam, eben falls in seiner Uniform - mit der Familie, den Kameraden oder der Verlobten - ablichten.

Auch französische und russische Kriegsgefangene ließen sich bei Simson im Studio photographieren. Daneben machte Franz Xaver Simson aber auch Außenaufnahmen von kriegsbedingten Einrichtungen wie der Sanierungsanstalt 12).

Künstlerische Photographie

 

Photographie als Kunstform oder als Gewerbe - dieser Streit hatte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Gemüter bewegt, wobei sich zunächst die Auseinandersetzung um die grundsätzliche Anerkennung, ob Photographie künstlerisch sein kann, bemühte. Anderer Art waren Konflikte zwischen "künstlerischen" Photographen und Berufs- und Amateurphotographen um die Jahrhundertwende. Hier ging es um die Streitfrage der rein gewerblichen Photographie, die ausschließlich geschäftlich orientiert war, und der Kunstphotographie, die höhere Ziele verfolgte und sich entschieden von den Berufs- und Amateurphotographen distanzierte 13).

Franz Xaver Simson war Berufsphotograph. Seine Neigung galt allerdings der künstlerischen Portraitphotographie, wobei Simson schon sehr früh von den damals üblichen Atelierphotos in verkrampfter Haltung und unnatürlicher Pose vor gemalten Hintergrundkulissen abkam und einen eigenen künstlerischen Stil fand, den er auch bei der üblichen Auftragsphotographie einzubringen versuchte. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle Simson als künstlerischen Photographen zu würdigen. Lediglich ein Aspekt soll angesprochen werden, nämlich die bemerkenswerten Licht- und Schattenreflexe, die Simson ganz ohne künstliches Licht, nur über das durch die Glasfenster seines Ateliers einfallende Tageslicht schaffen konnte. Besonders gelungen ist ihm in dieser Hinsicht eine Portraitstudie seiner Tochter Berta 14), bei der Simson ganz offensichtlich den sogenannten "Rembrandt-Effekt" ausprobierte. Dabei ging es um die Konzentration auf Gesicht und Blick als Ausdrucksträger der Person. "Die Contouren des Profils erscheinen wie von einer heilen Lichtseite eingefasst, die dunkleren Theile verschwimmen in dem Hintergrund" wie es das Photographische Archiv 1869 vorschrieb 15).

Neben der über Lichtreflexe und Pose bzw. Aufnahmeart künstlerisch gestalteten Photographie gab es auch das vom Phototechnischen her künstlerisch gefertigte Bild wie zum Beispiel besondere Retouchen 16) oder Schattenrisse 17). Beliebt waren um die Jahrhundertwende auch Pflanzenvignetten mit Erinnerungssprüchen wie "Gedenke mein" oder "Zur Erinnerung". In der Regel bezogen die Photographen die plastisch wirkenden Vignetten fertig aus dem Fachhandel.

Mode in der Photographie

Die Photographie als das wirklichkeitsgetreue Abbild ermöglicht eine exakte Auskunft, was an Kleidung tatsächlich getragen wurde, da Modellentwürfe und Zeitschriftenillustrationen wohl noch nie ein realistisches Bild abgeben konnten. Photographie als Quelle zur Geschichte der Mode kann also nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Auch der Nachlaß von Franz Xaver Simson hat hier einiges zu bieten. Allein im untersuchten Zeitraum von 1895 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs haben sich viele Modeveränderungen ergeben. In diesem Zusammenhang ist es also ein besonders glücklicher Umstand, daß Simson hauptsächlich Portraitphotograph war und deshalb eine Vielzahl von unterschiedlichen Kleideraufnahmen von Frauen, Männern und Kindern - sowohl in Haus- als auch Überkleidung wie Mäntel, Capes und Kostümen vorliegen. Ebenso können Aussagen zu einer Reihe von Accessoires, beispielsweise Hüte, getroffen werden. Anhand der Kleidung können auch Schlüsse über den sozialen Status des Photographierten getroffen werden, so daß neben dem kulturhistorischen Aspekt auch Auswertungen zur Sozialgeschichte gemacht werden könnten, was den Rahmen dieses Katalogs sprengen würde.

Anmerkungen

1) Rosenheimer Anzeiger Nr. 234 vom 14.10.1899
2) Stadtarchiv, Nachlaß Simson, Nr. 24485
3) Stadtarchiv, Nachlaß Simson, Nr. 60417
4) Johann Baptist Schweighart, Kaufmann, Ludwigsplatz 2a
5) Rosenheimer Anzeiger Nr. 61 vom 16.03.1909
6) Photographisches Atelier Samson & Co. Würzburg, Marktplatz 15 existierte von 1903 bis 1921 unter dem Geschäftsführer Siegfried Spier; der Inhaber war Moritz Samson aus Köln. frdl. Auskunft von Thomas Heiler, Stadtarchiv Würzburg
7) Aus: Hoerner, Ludwig, Das Photographische Gewerbe In Deutschtand 1839-1914. S.115
8) Name meint den Besteller des Negativs, der nicht unbedingt mit der abgebildeten Person identisch sein muß
9) Aus: Das Fotoalbum 1858-1918. Eine Dokumentation zur Kultur- und Sozialgeschichte. Ausstellung im Münchner Stadtmuseum 1975 zusammengestellt und bearbeitet von Ellen Maas. 5.118, Abb.229
10) Stadtarchiv, Nachlaß Simson, Nr. 14347
11) Stadtarchiv, Nachlaß Simson, Nr. 18269
12) Sanierungsanstalt Rosenheim: zur Entlausung von Truppentransporten auf dem Weg von der Ost- zur Westfront; in etwa heutiges Aicherparkgelände
13) Aus: Hoerner, S. 357 ff.
14) Stadtarchiv, Nachlaß Simson, Nr. 00023
15) Aus: Hoerner, S. 205
16) Stadtarchiv, Nachlaß Simson, Nr. 16676
17) Stadtarchiv, Nachlaß Simson, Nr. 14568