Zugriffe auf das Rosenheimer Theater

„Die unaufhaltsame Gleichschaltung aller politischen und kulturellen Kräfte, die seit Beginn der nationalen Regierung mit einer Entschlossenheit und Folgerichtigkeit sondergleichen durch Reich und Volk geht, hat nun auch unser Theater ergriffen [...]."1) Mit dieser Einleitung zu einem Artikel in „Wester-manns Monatshefte" vom Juni 1933 war genau umrissen, was die deutschen Theater von den nationalsozialistischen Machthabern zu erwarten hatten.
Es bleibt die Frage, ob diese allgemeine Aussage auch auf kleinstädtische Verhältnisse übertragbar war. Für Rosenheim ist dies umso interessanter, als der Ort vor 1933 noch ein sehr reges Theaterleben hatte. Es bestand zwar nie eine eigenständige städtische Bühne, doch wurde von Wanderbühnen, ortsansässigen Laien- und Berufsensembles mit unterschiedlichen Vorheben und Stilrichtungen umso fleissiger gespielt.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verödete die Rosenheimer Theaterlandschaft mehr und mehr aufgrund von Verboten und Anordnungen der Reichstheaterkammer.

Spielorte und Ensembles

Im Jahr 1933 gab es in Rosenheim mehr Theatersäle als heute:2) Im Hotel Hofbräu hatten 700 oder 300 Besucher Platz, im Hotel Deutscher Kaiser konnte für 550 Gäste bestuhlt werden. Das Theater in der Königstraße mit den Kammerlichtspielen faßte 516 Menschen, im Katholischen Gesellenhaus standen 300 Plätze zur Verfügung. Hinzu kamen noch die kleineren Säle im Saubräu, im Hotel König-Otto, im Duschlbräu, im Pernlohner Keller und im Auerbräukeller.
Sieben Ensembles waren in Rosenheim konzessioniert oder gaben mehrtägige Gastspiele. Unter dem Namen „Neues Theater Rosenheim" spielte eine Gruppe regelmäßig unter der Leitung von Willi Führlbeck, ab 1934 unter Bruno Frank. Später gab es die Theatergruppe der NS-Gemeinschaft KdF-Volksspielgruppe Rosenheim, die von Franz Wild geführt wurde, ferner war die „Bayerische Landesbühne", organisiert von der NS-Kulturgemeinde Rosenheim, tätig. Regelmäßige Gastspiele gaben die „Bunte Bühne" der NS-Gemeinde München, das „Schlierseer Bauerntheater" unter Xaver Terofal, das „Reichenhaller Bauerntheater" unter Josef Meth und „Ingerl´s Tegernseer Bauerntheater". Darüber hinaus existierten elf weitere Vereine und Organisationen, die jährlich zwischen zwei oder sechs Vorstellungen gaben: Der Katholische Gesellenverein brachte Schauspiele, der Katholische Jugendverein Märchenspiele, der Katholische Arbeiterinnen-Verein gab vorwiegend religiöse Stücke, die Gesellschaft für Literatur und Bühnenkunst führte klassische Stücke auf; Volksstücke wurden inszeniert vom Klub der Bühnenfreunde, vom Gebirgstrachten-Erhaltungsverein „Innviertler", der Theatergesellschaft des Bayerischen Eisenbahner-Verbandes, der Caritas-Bühne und dem Männergesangs-Verein. Unregelmäßige Aufführungen klassischer Stücke boten die Freilicht-Festspiele Rosenheim-Schloßberg. Auch die Truppe der Ekkehard-Spiele e.V. in der Hitlerjugend brachte nur unregelmäßig entsprechende Stücke heraus.

Einschränkungen des Theaterlebens

Im Untersuchungszeitraum von 1933 bis 1945 waren also insgesamt nicht weniger als 18 verschiedene Theatergruppen tätig. Die Aktivitäten der nicht im Sinne der neuen Ideologie agierenden Bühnen wurden jedoch sehr bald abgewürgt. Im September 1933 waren die ersten einschneidenden Änderungen spürbar: Die seit 1921 in Rosenheim bestehende „Theatergemeinde der Amtlichen Volksaufklärungsstelle" wurde in einen „Ortsverband der Deutschen Bühne" im Kampfbund für deutsche Kultur umgewandelt, die Kontrolle der Spielpläne war eingeleitet.3)
Auch das Betätigungsverbot für katholische Organisationen wirkte sich ab November 1933 auf das Theaterleben aus. Obgleich diesen Verbänden seitens des Stadtrats zu dieser Zeit noch wenig in den Weg gelegt wurde, drängten ortsansässige Berufsensembles aus Existenzangst auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen, so etwa der Leiter des „Neuen Theater Rosenheim", Willi Führlbeck, der sich beim Stadtrat am 18. November 1933 darüber beschwerte, daß „der hiesige kath. Gesellenverein seine Theatervorstellungen nicht nur nicht einstellt, sondern im Rosenheimer Anzeiger vom 17.11. abermals eine Winterspielzeit ankündigt [...]. Unter welcher Flagge diese verschleierten gesetzwidrigen Spiele segeln ist zwar belanglos, aber dennoch kennzeichnend als selbstständiges Theater-Unternehmen. [...] Im Dilletantenunwesen jedoch erblicke ich eine Schädigung aller Interessen meines beruflichen Unternehmens. [...]"4)
Bürgermeister Knorr berief sich im Dezember 1933 noch auf den Vollzug des „Reichstheatergesetzes" und erwiderte Führlbeck, daß eine gesetzliche Bestimmung, wonach den Vereinen jegliches Spielen untersagt sei, nicht bestehe, und daß man ferner bestrebt sei, die Heimatbühnen zu erhalten.5) Diese Argumente hielten jedoch dem äußeren Druck nicht lange stand. In einem Rundschreiben an die Oberbürgermeister der kreisfreien Städte vom 3. Oktober 1935 legte die Reichskulturkammer fest, daß materiell und kulturpolitisch zwischen reinen Dilletantenaufführungen und Laienspielen ein wesentlicher Unterschied zu machen sei. „Bei Laienspielen handelt es sich um Brauchtumsveranstaltungen und Heimatspiele volkstümlichen Charakters, [...] die aus dem lebendigen Volke erwachsen, während die reinen Dilletantenaufführungen, wie Veranstaltungen von Vereinen mit fragwürdigen Stücken unerwünscht sind. [...]"6)
Somit konnte der Stadtrat als unterste zuständige Behörde unwillkommene Veranstaltungen mit der stereotypen Antwort ablehnen, daß für eine Spielerlaubnis in Rosenheim kein Bedürfnis bestehe. „Hier gibt die bayerische Landesbühne für eine sehr starke Theatergemeinde regelmäßig Vorstellungen; der Theaterdirektor Gautsch von Starnberg hat die Konzession für Rosenheim, außerdem besteht hier ein ,Neues Theater Rosenheim', das im Winter wöchentlich Vorstellungen gibt; endlich gastieren hier von Zeit zu Zeit Schlierseer (Terofal) und Reichenhaller (Meth) Theater. Dem Publikum ist zudem durch günstige Zugsverbindungen Gelegenheit gegeben, die Münchener Theater zu besuchen."7)

Der gleichgeschaltete Spielplan

Die Folge war eine vollkommen neue Situation für die Rosenheimer Theater. Neben den gastierenden Bühnen konnten sich die kleinen Vereinsbühnen und Gruppen nicht mehr behaupten oder waren verboten. Verschiedene Spielorte wurden geschlossen, so zum Beispiel 1935 der Pernlohner Keller und der Saal im Duschlbräu. Unliebsame Stücke verschwanden von den Spielplänen. Zwar gab man weiterhin die politisch unverfänglichen bayerischen Volksstücke, Klassiker wie etwa „s'Jagabluat" von Benno Rauchen-egger oder „Die 3 Dorfheiligen" von Neal / Ferner; doch kamen nun zunehmend sogenannte „Blut- und Bodenstücke", teilweise mit rassistischen Tendenzen, auf die Bretter. Die Bayerische Landesbühne gab am 28. Dezember 1933 im Hotel Deutscher Kaiser das Stück „Die Heimkehr des Matthias Bruck",8) im Rahmen der „Deutschen Bühne" spielte das Münchner Ensemble Konrad Drehers das Stück „Kampf von Karl Heucke, ein ernstes Spiel vom Ringen um „Scholle, Rasse und Volksgemeinschaft."9)
Die Tegernseer brachten „Bauern im Feuer", ein Stück des Traunstei-ners B. H. Withalm, der sich, so der Rosenheimer Anzeiger, durch sein jüngstes Werk „Ostmark" in die erste Reihe der völkischen Dichter geschrieben habe. „Bauern im Feuer" handelt von einer Gruppe oberbayerischer Bauern, die im Ersten Weltkrieg bei der Infanterie dienten. Das Stück vereine, so die Besprechung, „echtes Bauerntum, wahrhaft nationale Gesinnung und tiefe Religiosität".10). Die Ekkehard-Spiele e. V. führten zum Höhepunkt eines sogenannten „Volkskunstabends" im Hofbräusaal das Mysterienspiel „Der tote Soldat" auf, ein Machwerk über die „Erhebung des deutschen Volkes aus Nacht und Not."11) Sogar etablierte Spielgruppen wie die Schlierseer ersetzten althergebrachte Begriffe wie „ländlicher Schwank" oder „bäuerliche Komödie" durch die der Zeit entgegenkommende Bezeichnung „deutsches Lustspiel."12)
Die Aufführungsverbote für bestimmte Werke lenkten die Spielpläne zusätzlich in die gewünschte Richtung. Ein Schreiben der Obersten Theaterbehörde in Bayern vom 12. Oktober 1936 lautete: „Die Verwaltungsbehörden werden angewiesen, ein Auftreten des Ensembles Lippert unter allen Umständen zu verhindern. Neuerdings soll er eine Tournee mit dem nicht zugelassenen Werk des ,Weissen Rössl' planen."13)
Die organisierten Gastspiele der Bayerischen Landesbühne und der „Bunten Bühne" der NS-Gemeinschaft München sowie die Aufführungen der KdF-Kreisdienststelle Rosenheim sollten weiterhin den Anschein eines regen kulturellen Lebens aufrecht erhalten.
Die „Bunte Bühne" München präsentierte wiederholt Mitglieder des Reichssenders München im Hofbräusaal: Mimi Thoma, Charlotte Radspieler, Georg Blädl, Hans Löscher und das Studentenbrettl „Die weiße Drehorgel". Beim Variete-Abend im Hofbräusaal trat Oskar Paulig in einem „einzigartigen Großstadtprogramm" auf, die Wiener Künstlerin „Manuela" gab einen großen Zauber - Gastspielabend, und die KdF-Volksspiel-gruppe Rosenheim führte „Die drei Eisbären" von M. Vitus unter der Spielleitung von Fred Normann auf.14) Bald gab es aber auch hier weitere Einschränkungen, bedingt duch die Kriegsereignisse. Am 6. März 1941 erging vom Präsidenten der Reichskulturkammer folgende Anordnung: „Trotz meiner wiederholten Erlasse [...], in denen ich eindringlich die Forderung erhob, das Kabarett- und Vortragswesen den Erfordernissen des öffentlichen Geschmacks, besonders aber denen des Krieges anzugleichen, treiben sogen. Conferenciers, Ansager und Kabarettisten [...] weiterhin ihr Unwesen. Jegliche sogen. Conference oder Ansage wird ab sofort für die ganze Öffentlichkeit grundsätzlich verboten [...]. Glossierungen von Persönlichkeiten, Zuständen oder Vorgängen des öffentlichen Lebens [...] sind in Theatern, Kabaretts, Varietes [...] verboten. [...]"15) Dies bedeutete konkret das endgültige Aus für die letzten spärlichen Reste einigermaßen niveauvoller Veranstaltungen in den beiden noch bespielten Bühnen des Hofbräu und im Hotel Deutscher Kaiser. Gastspiele gab lediglich noch die Bayerische Landesbühne und von den ortsansässigen Ensembles existierte nur noch die KdF-Volks-spielgruppe der Kreisdienststelle Rosenheim.
Dieser letzte kleine Anteil der Theater am kulturellen Leben Rosenheims mußte dazu dienen, die „Normalität" des Lebens vorzutäuschen und der Bevölkerung Unterhaltung und Ablenkung in einem Alltag zu geben, der immer mehr durch die Kriegsereignisse bestimmt war. Die „Unterhaltung" war jedoch sehr einseitig. Meist waren es heroische Schauspiele oder Lustspiele auf unterstem Niveau. Nur drei Beispiele: Ein Gastspiel der Bayerischen Landesbühne im Januar 1941 hatte den Titel „Trockenkursus", ein Ski-Lustspiel in drei Akten, am 17. November 1943 gab es im Hofbräusaal den „Aufruhr im Damenstift" zu sehen oder am 21. März 1944 „Das Dorf bei Odessa", ein im Sommer 1941 handelndes Schauspiel über das Schicksal von Volksdeutschen zu Beginn des Rußlandfeldzugs. Am 25. September 1941 führte die Landesbühne das aus dem Jahr 1914 stammende Drama „Karte" um den Preußischen Kronprinzen Friedrich und seinen Freund Katte auf, das aus der Feder des Malers und Schriftstellers Hermann Burte (Pseudonym für Strübe) stammt.16) Diese Verhältnisse blieben bis 1945 unverändert. Leider gibt es kaum Hinweise darauf, wie die Kriegser-eignisse das Theater beeinflußt haben. Es ist aber anzunehmen, daß zum Beispiel Veranstaltungen durch Fliegerangriffe abgebrochen werden mußten, wobei auf den Theaterzetteln darauf hingewiesen wurde, daß „bei Fliegeralarm nach Beginn der Vorstellung keine Ersatzansprüche bestehen."17) Auch bestätigen Zeitzeugen, daß viele Theaterspieler der ehemaligen Rosenheimer Laien- und Vereinsbühnen, die später auch auf den Programmzetteln der KdF-Volks-spielgruppe standen, einer nach dem anderen zu Arbeits- und Kriegsdienst eingezogen wurden. Für die Zeit vor Kriegsende existieren keine Akten mehr über irgendwelche Theateraktivitäten. Doch einen neuen Anlauf, das Theater in Rosenheim wieder zu beleben, gab es schon in den ersten beiden Nachkriegsjahren, als die Kräfte der alten Rosenheimer Bühnen sich wieder frei entfalten konnten.

Marinus Brand

Anmerkungen:

1) DÜSEL, Friedrich: Dramatische Rundschau. In: Westermanns Monatshefte 77 (1933), S. 377 f.
2) StARo, Altregistratur VI J 2 - 24.
3) RA vom 5.9.1933.
4) StARo, Altregistratur VI J 2 - 73.
5) Ebenda.
6) StARo, Altregistratur VI J 2 - 24.
7) Ebenda.
8) RA vom 22.12.1933.
9) RA vom 14. 9.1933.
10) RA vom 4.4.1933.
11) RA vom 9.10.1933.
12) StARo, Altregistratur VI J 2 - 24.
13) Ebenda, Beiakt.
14) RA vom 16. 3.1940.
15) StARo, Altregistratur VI J 2 - 24.
16) StARo, Benutzerakt Nationalsozialismus!.
17) Ebenda.