Kriegsende und Einmarsch der US-Truppen

Im Laufe des April 1945 drangen die amerikanischen Truppen mit großer Geschwindigkeit immer tiefer in Bayern ein. Sie besetzten am 11. April Würzburg, am 20. April Nürnberg, am 30. April München und am 1. Mai Landshut.1) In den frühen Morgenstunden des 2. Mai 1945 zogen die 12. Panzerdivision und die 3. Infanteriedivision des XXI. amerikanischen Armeekorps in die Stadt Rosenheim ein.2)Hektische Betriebsamkeit beherrschte in den letzten Tagen vor dem Einmarsch der US-Streitkräfte die Stadt. „In Scharen und Gruppen zogen Teile der Wehrmacht, der Organisation Todt, des Arbeitsdienstes, der SS und HJ in allen Richtungen durch die Stadt [...]"3)
„Viele Bewohner der Stadt zogen es vor, ihr Leben durch die Flucht auf entlegene Almen in Sicherheit zu bringen; andere verlagerten ihre Möbel in die bereits vollgestopften Bauernhäuser, und wer dies nicht konnte, wanderte mit dem Handkarren, vollbeladen mit den notwendigsten Habseligkeiten, zu Bekannten oder Verwandten aufs Land."4)
Die umfangreichen Bestände an Lebensmitteln, Textilien, Tabakwaren und Wein in den großen Verpflegungslagern im städtischen Lagerhaus an der Rathausstraße, beim Auerbräu und im Mail-Keller wurden von einem Teil der Rosenheimer Bevölkerung geplündert. Vor allem Grundnahrungsmittel wie Mehl, Reis, Zucker, Kaffee und Fleischkonserven waren begehrt und wurden in Markttaschen und auf Handwägelchen von den Frauen, Kindern und wenigen Männern nach Hause transportiert.5) Der zum Schutz der Lager eingesetzten Polizei und den örtlichen Dienststellen der Wehrmacht gelang es nicht, diese Plünderungen zu unterbinden.6) Allerdings konnte ein Teil der Waren noch durch einen rasch von der Stadtverwaltung organisierten Einsatz von Hilfskräften sichergestellt und an die lokalen Krankenhäuser und Altersheime verteilt werden.7)

Die verhinderte Sprengung der Innbrücke

Über die Initiativen verschiedener Rosenheimer Bürger und dort stationierter Soldaten, die Verteidigung der Stadt zu unterbinden und vor allem die Sprengung der Innbrücke zu verhindern, existieren mehrere Berichte.8) Trotz Recherchen in verschiedenen einschlägigen Archiven ist aber noch keine endgültige Antwort auf die Frage möglich, welche Rolle dabei die Freiheits-Aktion-Bayern (FAB) in Rosenheim gespielt hat.9)
So berichtet Dr. Golling, Oberstabsarzt und Leiter des Lazaretts im städtischen Krankenhaus, er sei am 30. April 1945, nachdem er von der drohenden Verteidigung der Stadt und der möglichen Sprengung der Innbrücke informiert worden war, zur Brücke gefahren. Dort traf er Herrn Windisch, Ingenieur der städtischen Wasserwerke, der den Arzt darauf aufmerksam machte, „[...] daß mit der Brücke bei der Sprengung auch die Wasserleitung der Stadt Rosenheim unterbrochen wird [...]".10)
Davon wären außer den Bewohnern vor allem auch die etwa eintausend Verwundeten in den Rosenheimer Lazaretten betroffen gewesen. Es •gelang, den Pioniergeneral Rössinger durch den Hinweis auf die gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung und der Soldaten von der Sinnlosigkeit dieses Vorhabens zu überzeugen.11)
Rössinger, Dr. Golling und Windisch fuhren zur Brücke, und der Befehl wurde abgeändert auf: „Die Brücke wird nur auf höheren Befehl gesprengt".12)
Vom Kampfkommandanten der Stadt, Major Honsalek, erhielt man zwar keine feste Zusage, daß die Sprengung verhindert würde, aber „[...] nach den ganzen Vorgängen und Verhältnissen [...]"13) - die amerikanischen Streitkräfte hatten den Inn bereits auf der südlich der Stadt gelegenen Autobahnbrücke überschritten14) - waren Windisch und Dr. Golling der Meinung, daß eine Zerstörung der Brücke nicht mehr erfolgen würde. Windisch schärfte den neuen Befehl den an der Brücke postierten deutschen Soldaten nochmals ein.15)
Frühmorgens am 2. Mai traf der Oberstabsarzt Dr. Theodor Drexel an der Innbrücke auf einen Pioniersoldaten, der noch immer auf den Befehl zur Sprengung der Brücke wartete. Gleichzeitig näherte sich, von der Innstraße kommend, die Spitze der amerikanischen Kampftruppe. Nun war die Innbrücke endgültig gerettet und damit auch die lebensnotwendige Wasserversorgung der Stadt gesichert.16)

Weitere Initiativen

Parallel zu diesen Ereignissen versuchten auch andere um die Stadt besorgte Bürger Kontakt zu den örtlichen deutschen Militärbefehlshabern herzustellen, damit eine Verteidigung der Stadt unterbleibe. Der Brauereibesitzer Steegmüller und der Fabrikant Hamberger17) trafen, laut Hauptmann Voigt, am 25. April 1945 mit General Rössinger im Offizierskasino Rosenheim zusammen. Rössinger gab keine Zusage darüber, ob er die Verteidigung unterlassen würde. Steegmüller und Hamberger waren von diesem Gesprächsergebnis enttäuscht. Steegmüller drängte auf eine weitere Unterredung, nun in seinem Haus, am 27. oder 28. April. General Rössinger sagte seine Teilnahme zu, mußte aber kurzfristig wegen einer Dienstreise wieder absagen.18) Stattdessen kam es zu einem Treffen zwischen Steegmüller und Honsalek. Wahrscheinlich ist dies auf einen Wunsch Steegmüllers zurückzuführen.19) „Sein wohl vorbereiteter und ausgebauter Abschnitt umfasse das gesamte Vorfeld der Umgebung Rosenheims und werde von der SS und anderen Kampfverbänden, die seinem (Honsaleks) Kommando unterständen, verteidigt werden. Einwände irgendwelcher Art (wie beispielsweise die volle Belegung der elf Lazarette, offene Stadt, wenig günstige infanteristische Verteidigungsstelle), ließ Honsalek durchaus nicht gelten."20) Erst nachdem der schnell herbeigerufene Kommandant des Abschnitts Schloßberg, Hamberger, erklärte, „[...] daß der Volkssturm auf keinen Fall den Schloßberg-Abschnitt verteidigen würde [...]",21) lenkte Honsalek ein. Zuletzt erhielt Steegmüller in einem Gespräch unter vier Augen die Zusage von Honsalek, Rosenheim nicht zu verteidigen.22)
Steegmüller berichtet auch von Verhandlungen über die Sprengung der Innbrücke. Major Honsalek sicherte nach langem Zögern zu, die Brücke nicht vor Mittwoch (3. Mai) und nochmaliger Rücksprache mit Steegmüller zu zerstören.23)
Nach den vorliegenden Augenzeugenberichten und anderem ausgewerteten Archivmaterial kann man davon ausgehen, daß Dr. Golling und Steegmüller von den verschiedenen Aktivitäten zum Schutze der Stadt nichts wußten. Am 29. April 1945 trat unter Vorsitz von Oberbürgermeister Gmelch der Stadtrat von Rosenheim noch zu einer Sondersitzung zusammen. Angesichts der aussichtslosen Frontlage beschloß er einstimmig, daß die Stadt nicht verteidigt werden solle.24) Inwieweit von städtischer Seite versucht wurde, Kontakt zu Major Honsalek herzustellen, ist nicht bekannt. Interessant ist, daß in keinem der
Augenzeugenberichte auf die Aktivitäten der FAB in Rosenheim eingegangen wird. Über Größe und Tätigkeit der FAB-Gruppe Hanslmeier existieren keine exakten Angaben.25) Der einzige umfangreichere Hinweis auf Aktivitäten der FAB in Rosenheim ist ein inhaltlich sehr allgemein gehaltener Artikel im Oberbayerischen Volksblatt vom 30. April 1946. Allerdings muß zum Beispiel das dort erwähnte Absinken der Verteidigungsmoral des Volkssturms in Schloßberg und der übrigen Umgebung von Rosenheim nicht unbedingt auf den Einfluß der FAB-Gruppe Rosenheim zurückzuführen sein. Ebenso kann es sich um eine vielerorts zu beobachtende Erscheinung handeln, die nicht zuletzt in der militärischen Aussichtslosigkeit des Kampfes und in der Angst vor der Zerstörung des eigenen Besitzes ihre Begründung findet.26)

Die Amerikaner besetzen die Stadt

In der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 1945 näherten sich die amerikanischen Truppen, von Aibling kommend, der Stadt Rosenheim, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen. Panzer und Spähwagen drangen in den frühen Morgenstunden in die Stadt ein.
Nur vereinzelt kam es zu kurzen Schießereien. Eine Gruppe Landser wurde am Max-Josefs-Platz unter Beschuß genommen, ebenso ein LKW der Organisation Todt in der Innstraße. Die meist schwerverletzten Soldaten wurden zunächst in den umliegenden Häusern versorgt.27)
Zu einem größeren Zwischenfall kam es nur in der Innstraße. Dort hatte sich im Haus Nummer 61 ein junger SS-Mann im Keller versteckt. „US-Soldaten durchsuchten, von der Mangfallbrücke kommend, jedes Haus und durchkämmten die Gegend. Als sich amerikanische Grenadiere durch den Hof dem Keller näherten, gab der SS-Mann, in die Enge getrieben, auf diese mit seiner Pistole gezielte Schüsse ab."28) Nach einem kurzen heftigen Feuergefecht wurde der deutsche Soldat getötet. „Dieser Vorfall gab den Amerikanern, bestärkt in der Meinung, es würden im Hause noch mehr Leute Widerstand leisten, Anlaß, das Anwesen unter Beschuß zu nehmen."29) Das Gebäude wurde mit Panzergranaten und MG-Salven etwa eine Viertelstunde lang beschossen. „Nach der Aktion holte man sämtliche Bewohner aus dem Hause und stellte sie der Reihe nach vor die Holzlegen. Ein Dolmetscher vermittelte notdürftig. Die Amerikaner ließen sich von der Schuldlosigkeit der Hausbewohner überzeugen und zogen, ohne diesen ein Leid anzutun, ab."30)
Unter den ersten Deutschen, die mit den Amerikanern Kontakt aufnahmen, war Dr. Golling. Er fuhr mit einem Sanitätsfahrzeug, besetzt mit zwei Ärzten und zwei gefangenen US-Soldaten, den amerikanischen Kampftruppen auf dem Ludwigsplatz entgegen, um Verletzte in das Lazarett zu bringen. Nach einem kurzen Gespräch mit dem amerikanischen Panzerkommandanten konnte Dr. Golling seine Fahrt wieder fortsetzten.31) Eine offizielle Übergabe der Stadt von militärischer oder städtischer Seite erfolgte nicht.
Schon am Vormittag des 2. Mai 1945 „[...] tummelten sich bereits Scharen von Kindern an den auf dem Ludwigsplatz aufgefahrenen Panzern [...]".32) Die Soldaten verteilten Schokolade und andere Süßigkeiten an die Kinder. Der erste amerikanische Ortskommandant von Rosenheim erließ noch am 2. Mai den Befehl: „Alle Deutschen werden aufgefordert, sämtliche Waffen abzugeben [...]. Über alle Einwohner wird ab sofort Ausgehverbot verhängt, ausgenommen in der Zeit von 11 bis 13 Uhr."33)
In den folgenden Tagen kam es zu zahlreichen Plünderungen von Geschäften und Diebstählen durch die freigelassenen Displaced Persons, die ihre wiedergewonnene Freiheit in den Straßen Rosenheims feierten.34)
Erst allmählich „[...] kehrten auch die Rosenheimer wieder zurück, die in der Erwartung einer sinnlosen Verteidigung der Stadt mit einiger Habe in die umliegenden Dörfer zu Verwandten und Bekannten geflüchtet waren."35)
Dem Eingreifen einiger weniger Männer, die auch mögliche standgerichtliche Verfahren nicht fürchteten, ist es zu verdanken, daß die Verteidigung Rosenheims und die Sprengung der Innbrücke unterblieb.

Gerhard Lux

Anmerkungen:

1) Vgl. BROSZAT, Martin und FRÖHLICH, Elke, Hrsg: Bayern in der NS-Zeit. Bd. IV, München, Wien 1981, S. 646.
2) Vgl. BRÜCKNER, Joachim: Kriegsende in Bayern 1945. Freiburg 1987, S. 254.
3) OVB vom 30.4.1965.
4) Ebenda.
5) Vgl. OVB vom 30.4. 1955 und vom 30.4. 1965.
6) Vgl. OVB vom 30.4.1960.
7) Vgl. OVB vom 30.4.1955.
8) StARo, Benutzerakt 2. Weltkrieg, enthält verschiedene Augenzeugenberichte. OVB vom 30.4.1946, 30.4.1955, 30.4.1960.
9) Zum Beispiel im Staatsarchiv München und im Institut für Zeitgeschichte.
10) StARo, Benutzerakt 2. Weltkrieg, Bericht Dr. Golling vom 4.12.1958.
11) Ebenda, Bericht Windisch vom 12. 2. 1947.
12) Ebenda. 13) Ebenda.
14) Ebenda, Bericht Schuckmann. E. G. von chuckmann (Oberstleutnant) berichtet, daß er und Major Honsalek die am 1. Mai 1945 befohlene Sprengung der Autobahnbrücke über den Inn verhinderten.
15) Ebenda, Bericht Windisch.
16) OVB vom 30.4.1965.
17) StARo, Benutzerakt 2. Weltkrieg, Bericht Steegmüller vom 5.12.1958. Der Vorgang wird von Steegmüller nicht erwähnt.
18) Ebenda, Bericht Voigt vom 20. 5.1946. Steegmüller spricht in seinem Bericht allerdings vom 28. April und nicht wie Voigt vom 27. April.
19) Vgl. ebenda, Bericht Steegmüller.
20) Ebenda, Bericht Voigt.
21) Ebenda.
22) Ebenda.
23) Ebenda, Bericht Steegmüüer.
24) OVB vom 30.4.1955.
25) StARo, Personalakt Wendl.
26) Bayern in der NS-Zeit, Bd. IV, S. 648.
27) OVB vom 30.4.1965.
28) Ebenda.
29) Ebenda.
30) Ebenda.
31) StARo, Benutzerakt 2. Weltkrieg, Bericht Golling.
32) OVB vom 30.4.1955.
33) Ebenda.
34) OVB vom 7. 5.1960.
35) Ebenda.