Diskriminierung und Verfolgung von Landfahrern

Ab 1935 wurde man in Rosenheim gegenüber Zigeunern und Fahrenden tätig. Seit den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935 galten die Zigeuner ebenso wie die jüdische Bevölkerung nicht mehr als Reichsbürger, die „deutschen oder artverwandten Blutes" sein mußten.1) Dabei fällt auf, daß Zigeuner und Landfahrer rechtlich in einen Topf geworfen wurden und daß es in Rosenheim damals nachweislich keine echten Zigeuner gegeben hat. Zunächst beabsichtigten die Stadtbehörden eine Zusammenfassung der in der Stadt verstreut wohnenden Fahrenden. Sowohl Zigeuner als auch Landfahrer sollten gemäß einer Bekanntmachung der Polizeidirektion München ihre Wohnwägen auf dem Gelände der ehemaligen Sanierung aufstellen.2) Noch 1939 hieß es in einem Schreiben des Stadtbauamts: „Ein geeigneter Platz zur Aufstellung der genannten Wohnwägen könnte in der ehem. Sanierung und zwar das Gelände südlich der Straße zu den Arbeitsdienstlagern bereit gestellt werden. Nachdem die Wägen wegen der derzeitigen Verhältnisse doch noch länger hier bleiben, wäre die Entfernung der aufgestellten Wägen von den öffentlichen Plätzen unbedingt zu fordern."3) Im Dezember 1937 trat eine Verschärfung in der Behandlung der Zigeuner ein. In einem ministeriellen Schreiben zur „Bekämpfung des Zigeunerunwesens" wurde gefordert, daß ausländischen Zigeunern und „den nach Zigeunerart umherziehenden Personen" ein Wandergewerbeschein stets zu versagen sei. Ferner hieß es: „Wandergewerbetreibende, die nach Zigeunerart umherziehen, fallen als Landfahrer unter die Bestimmungen des Zigeuner- und Arbeitsscheuengesetzes. [...] Wo immer die Versagung der Erlaubnisscheine und Ausweise des Zigeuner- und Arbeitsscheuengesetzes einen Erfolg verspricht, muß sie ausgesprochen werden."4) Auch Schausteller aller Art (Wanderzirkusse, Wandermusikanten) sollten auf diese Weise benachteiligt werden. „Endziel" dieser diffamierenden Maßnahmen war die „Seßhaftmachung von Zigeuner- und Landfahrerfamilien."5)
Begrifflich unterschied man zunächst noch bei der Erfassung zwischen Zigeunern und nach Zigeunerart umherziehenden Personen. Diese grobe Differenzierung wollte die Rosenheimer Kriminalpolizei im Juni 1938 an rumänischen Teppichhändlern vornehmen, konnte aber keine näheren Nachprüfungen anstellen, da sich die fahrende Gruppe nur kurz in Rosenheim aufgehalten hatte und bereits am 18. Juni 1938 wieder abgereist war. Es wurde lediglich festgestellt: „Sie [die Teppichhändler] gaben an, daß sie sich nach Passau, vielleicht auch nach Wien begeben würden."6) Ein Erlaß vom 8. Dezember 1938 7) forderte dann eine Gleichbehandlung von Zigeunern, Zigeunermischlingen und nach Zigeunerart umherziehenden Personen, nämlich Erfassung, erkennungsdienstliche Behandlung sowie Person- und Staatsangehörigkeitsfeststellung.8) Nach obigen Kriterien wurde zum Beispiel im Oktober 1939 der mit einem Wohnwagen in der Hubertusstraße (damals: Eppstraße) stehende Willy Blum von der Rosenheimer Kriminalpolizei kontrolliert. Der Schausteller konnte einen festen Wohnsitz in Bad Aibling nachweisen und gab an, „daß er seine Ehefrau und sechs Kinder bei sich habe, er hatte [einen] Wandergewerbeschein für 1939 zum Betriebe eines Karussells, einer Schießbude und Marionettentheaters im Besitze [...]."9) Trotzdem räumte Kriminal-Obersekretär Bumann ein: „Falls Blum mit seiner Familie unter die eingangs erwähnten Bestimmungen fallen sollte, könnte [er] durch die Schutzpolizei Bad Aibling erfaßt und erkennungsdienstlich behandelt werden."10) Ein anderes Beispiel zeigt die berechtigte Angst einer Familie vor Sanktionen durch die Kriminalpolizei: So hatten sich die Winters, die in der Färberstraße 29 wohnhaft und gemeldet waren, „nachdem hier die Feststellung ihrer Personalien usw. am 15.10. 39 vorgenommen worden war, von hier entfernt und sind in ihre hiesige Wohnung bisher noch nicht zurückgekehrt." Von München aus erfolgte dann eine schriftliche Abmeldung.11)
Eine verschärfte Diskriminierung der Fahrenden brachte eine Anordnung aus Berlin an alle Ortspolizeibehörden, die über die Kriminalpolizei München mit den Stempeln „Streng vertraulich!" und „Eilt" am 24. Oktober 1939 auch Rosenheim erreichte.12) Danach sollte an drei Tagen (25., 26. und 27. Oktober) nach Zigeunern und Zigeunermischlingen gefahndet werden. Die Polizeibehörden wurden angewiesen, „sämtlichen in ihrem Bereich befindlichen Zigeunern und Zigeunermischlingen die Auflage zu erteilen, von sofort ab bis auf weiteres ihren Wohnsitz oder jetzigen Aufenthaltsort nicht zu verlassen. Für den Fall einer Nichtbefolgung ist Einweisung in ein Konzentrationslager anzudrohen und erforderlichenfalls [...] durchzuführen."13) Zum ersten Mal fällt in diesem Zusammenhang damit das Stichwort „Konzentrationslager". Der Berliner Anordnung wurde Folge geleistet, fünfzehn Fahrende wurden mit Namen, Geburtsdaten, Wohnorten, Staatsangehörigkeit und Bemerkungen registriert.14) Auffallend an der Liste von Fahrenden ist, daß mit einer einzigen Ausnahme („staatlos") alle die reichsdeutsche Staatsangehörigkeit hatten. Von echten Zigeunern konnte also nicht die Rede sein. Als Aufenthaltsorte waren angegeben: Salzstadel, Färberstraße, Münchnerstraße (damals: Hindenburgstraße), Hotel „König Otto", Loretowiese und Ruedorfferau.
Einen weiteren Schritt zur Diskriminierung Fahrender stellte die „Allgemeine Bekanntmachung" der Kriminalpolizei München vom 27. November 1939 dar.15) Demnach sollten „alle Zigeunerinnen, die in begründetem Verdacht des Wahrsa-gens stehen oder gestanden haben, als Asoziale in polizeiliche Vorbeugungshaft" genommen werden: „Der Begriff ,Zigeunerinnen' ist weit auszulegen. Auch Personen mit geringem zigeunerischen Einschlag sind als Zigeuner zu behandeln." Als Sanktion war die Einweisung in ein zuständiges „Besserungs- und Arbeitslager" vorgesehen.16) Bezüglich der Herkunft der Fahrenden wurde festgestellt: „Es ist direkt auffallend, daß in diesem Jahre so viele norddeutsche Zigeuner in Bayern sich umhertreiben [...]."17) Die Kriminalpolizei der Stadt Rosenheim wurde darauf aufmerksam gemacht, daß die sogenannten Zigeuner sich nicht als solche zu erkennen gäben, sondern sich durch angepaßte Verhaltensweisen zu tarnen pflegten.18)
Schon wegen geringster Vergehen drohten den Fahrenden hohe Strafen, die in keinem Verhältnis zur Tat standen. Als Beispiel sei hier der Fall Anna Guttenberger angeführt. Die 1902 in Schwäbisch-Gmünd geborene Begleiterin des Musikers Anton Guttenberger verkaufte angeblich am 23. Dezember 1939 in Kirchdorf gewöhnliche Spitzen für Klöppelspitzen und vertauschte sie auch gegen Lebensmittel. Da sie ab dem 27. Oktober bis auf weiteres ihren Wohnsitz nicht mehr verlassen durfte, ersuchte der Rosenheimer Oberbürgermeister Gmelch „um Einweisung der Guttenberger in ein Konzentrationslager."19) Unter den Rosenheimer Dokumenten findet man auch einen Auszug aus der „Zeitschrift für Standesamtswesen", in dem die NS-Ideologen ihre grundsätzliche Haltung gegenüber Zigeunern deutlich darlegen: „Zigeuner sind Fremdkörper in unserem Volke. An ihrer Eingliederung in die Blutsgemeinschaft deutscher Menschen und damit auch an ihrer Seßhaftmachung haben wir kein Interesse, ebensowenig wie auf die Dauer an ihrem nomadenartigen Umherziehen."20) Angesichts solcher Sätze kann die „Anordnung über die Beschäftigung von Zigeunern",21) in der es unter anderem heißt: „Die für Juden erlassenen Sondervorschriften auf dem Gebiete des Sozialrechts finden in ihrer jeweiligen Fassung auf Zigeuner entsprechende Anwendung", nicht mehr verwundern.
Das bisher letzte Dokument stammt vom 1. April 1942 und befaßt sich mit Fahrenden, die bei Endorf aufgegriffen wurden und aus dem Zigeunerlager Salzburg-Maxglan stammen sollten.22)
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in dem behandelten Zeitraum bisher keine echten Zigeuner in Rosenheim nachzuweisen sind. Es handelte sich stets um fahrende Händler oder Schausteller. Schrittweise wurden deren Rechte geschmälert bis hin zur Verschleppung in Konzentrationslager. Den einzelnen Schicksalen nachzugehen wäre eine noch zu leistende, verdienstvolle Aufgabe.

Richard Prechtl

Anmerkungen:

1) RGBL 1935, Teil I,S. 1146.
2) Alle folgenden Nachweise stammen aus dem Akt StARo, Altregistratur VI A 3 - 75, Handhabung der Sicherheitspolizei auf Zigeuner 1871 ff. Hier: Bericht der Schutzmannschaft Rosenheim vom 6. 3.1935 an den Stadtrat.
3) Ebenda, Bericht der Schutzmannschaft Rosenheim vom 10.10.1939 an die Stadtverwaltung.
4) Ebenda, Anweisung des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 23.12. 1937 an die Bezirksregierungen.
5) Ebenda.
6) Ebenda, Bericht der Kriminalpolizei Rosenheim vom 24.6.1938.
7) Ebenda, Runderlaß des Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler vom 8.12.1938.
8) Ebenda, z. B. Schreiben der Staatlichen Kriminalpolizei München an den Oberbürgermeister der Stadt Rosenheim vom 10. 10. 1939.
9) Ebenda, Bericht der Kriminalpolizei Rosenheim vom 17.10.1939 an die Staatliche Kriminalpolizei München.
10) Ebenda.
11) Ebenda, Schreiben der Staatlichen Kriminalpolizei München vom 30.10.1939.
12) Ebenda, Staatliche Kriminalpolizei München, 23.10.1939.
13) Ebenda.
14) Ebenda, Bericht der Kriminalpolizei Rosenheim vom 1.11.1939.
15) Auszug aus dem Meldeblatt der Krimi-nalpolizeistelle München vom 30.11.1939, Nr. 10.
16) Ebenda.
17) Ebenda, Kriminalpolizei-Leitstelle III, Dienststelle für Zigeunerfragen vom 8.12. 1939.
18) Ebenda.
19) Ebenda, Schreiben an die Staatliche Kriminalpolizei München vom 9.1.1940.
20) Zeitschrift für Standesamtswesen Nr. 11, 10. Juni 1941, S. 148.
21) RGBL 1942 Teil I, Nr. 27, S. 138.
22) Staatliche Kriminalpolizei München an den Oberbürgermeister der Stadt Rosenheim vom 1.4.1942.