Ehrenbürger Constantin Gerhardinger

Als Sohn eines Landgerichtspräsidenten am 31. Juli 1888 in München geboren, war der junge Constantin 1910 von dort aus zum erstenmal per Fahrrad zum Samerberg unterwegs. Er radelte die steinig-staubige Straße hinauf nach Törwang, der Perle des Samerberges. Und dieser wunderschöne Höhenzug hat ihn nicht mehr losgelassen. 1932 hat er sich endgültig dort angesiedelt. Er wurzelte tief in dem Saft und Kraft gebenden Boden; hier gedieh Gerhardinger zu einer kernigen Tanne, die schnell alle Wipfel überragte. In dieser würzigen Bergluft wuchs sein Schaffen weit über das Durchschnittliche. Zuerst sah es für den jungen Constantin nicht so rosig aus; seine Jugend war hart und traurig. Versuche, einen bürgerlichen Beruf zu ergreifen, waren vergeblich. Die Akademiezeit war geprägt von den Professoren Jank und Hengerler. Weitere Stationen: das Infanterie-Leibregiment und die Jahre mit Thomas Baumgartner und Müller-Schnuttenbach. Eine der wesentlichsten Begegnungen war die mit Max Bram.

Bei Gerhardinger erübrigt sich das Recherchieren, hat er mir doch selbst aus seinem Leben erzählt. So charmant der Professor sein konnte, so beklemmend fühlte man sich in seinem Wohnraum, in dem dunkler Samt vorherrschte und, ganz im Gegensatz zur Stimmung um das herrliche Anwesen oberhalb Törwangs, das Gemüt bedrückte. Körperlich und geistig war der damals 80jährige noch voll auf der Höhe. Mit seinem flotten Mercedes fuhr er täglich nach München und malte den ganzen Tag in seinem Atelier.

„Mit 43 habe ich geheiratet, die Adoptivtochter des Tengelmann-Besitzers. Bin längst Witwer, habe alle meine Freunde überlebt, stehe mutterseelenallein da. Koa Mensch dat woana, wenn es aus ist mit mir."

Wie arg politische Epochen einen Künstler hin- und herreißen können, erfuhr Gerhardinger. Nur weil er sich erlaubte zu fragen, wer Bilder ersetzt, welche eventuell im „Haus der Kunst" in München einem Bombenschaden zum Opfer fallen, hat ihn Hitler aus der „Deutschen Volks- und Notgemeinschaft" ausgeschlossen. Goebels verhinderte die Einweisung als Rüstungsarbeiter.

Über den großen Radius seines Könnens, über seine Bilder, von denen Portraits so geschätzt waren und sind, wie Landschaftsbilder, Stilleben, Akte, urteilen gerade heute die Kritiker sehr differenziert. Doch da befindet sich Gerhardinger mit Leibl, Holz, Defregger, Padua u.v.a. in guter Gesellschaft. Er selbst urteilte über sich: „Wissen S', wenn ich einen Tizian, Rubens oder Rembrandt betrachte, dann bin i nix, ein ganz g'wöhnlicher Hosenbrunzer - Entschuldigung - jawohl, so kloa, wia a Ameisn." Diese „Selbstbescheidenheit" dürfte ihm nicht schwergefallen sein, kannte er doch recht genau den Kurswert seiner Gemälde, und der war äußerst beachtlich.

Dementsprechend bedeutend und großzügig war die Schenkung an die Stadt Rosenheim aus seinem Nachlaß: etwa hundert Bilder und 100.000 Mark. Noch zu seinen Lebzeiten hat Professor Gerhardinger mit Oberbürgermeister Dr. Steinbeißer die Erweiterung der Gemäldegalerie besprochen. In Törwang begraben, in Rosenheim durch die ständige Ausstellung lebendig, von der Stadt Rosenheim, ein Jahr vor seinem Tode, zum 80. Geburtstag, mit der größten Ehre bedacht, wurde dem Malerprofessor vom Samerberg am 31. Juli 1968 die Ehrenbürger-Urkunde feierlich überreicht.
Gerhardinger: „Übertreibt's net a so, i woaß scho, wos i kon, i woaß aber a, wos i net ko."

Text von Helmut Braun aus der Broschüre "Die Ehrenbürger der Stadt Rosenheim", Hrsg. Bayerische Hypotheken- und Wechsel-Bank Aktiengesellschaft, München, 1983.