Luftschutzorganisation und Luftangriffe

Unter dem Eindruck der im März 1933 im Münchner Alten Botanischen Garten stattgefundenen Luftschutz-Ausstellung des Deutschen Luftschutzverbandes, die auf Deutschlands „luftempfindliche Lage"1) aufmerksam machen wollte, sowie aufgrund diesbezüglicher Aufforderung durch die Regierung wurde auch für Rosenheim das Thema Luftschutz aktuell. Am 15. März 1933 informierte der Rosenheimer Anzeiger2) über die „erst kürzlich auf Anordnungen des Reiches erfolgte Gründung eines Luftschutz-Beirates und eines Luftschutz-Verbandes [...]" in Rosenheim. Deren Zweck sei es, „die Bevölkerung über einen Luftschutzangriff aufzuklären und ihr Verhalten diesem anzupassen." Hauptziel sei es, „eine praktisch-tätige, freiwillige Mithilfe in Zusammenarbeit mit Polizei, Feuerwehr, freiwilliger Sanitätskolonne und technischer Nothilfe erstehen [...]" zu lassen. Man gab sich überzeugt, daß im Falle eines Luftangriffs „der Aufstellung eines umfassenden Sicherheits- und Hilfsdienstes und dessen rasches und fachgemäßes Einsetzen für Abwehr oder Minderung der Gefahren [...]" größte Bedeutung zukomme. Das Freiwilligenaufgebot, das sich aus Männern „jeden Standes, ungeachtet des Berufes und [zu diesem Zeitpunkt sogar auch noch] selbstredend der Partei [...]" zu rekrutieren habe, sollte „bei der Polizei, Sanitätskolonne und Feuerwehr [...] und weiter als Aufräumungs-, Entgiftungs- und technischer Hilfs-trupp" eingesetzt werden.
Die Organisation des zivilen Luftschutzes wurde gesetzlich festgelegt durch die Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches und des Polizeistrafgesetzbuches.3) Demnach war zum Selbstschutz der Bevölkerung „jeder Einwohner der Stadt Rosenheim verpflichtet, sich dem Sicherheits- und Sanitätsdienst (Luftschutzordnungsdienst, Feuerwehr, Sanitäts-, Instandsetzungs-, Entgiftungs-, Nachrichtendienst, Sprengtrupp, Fachtrupp für Elektrizität, Gas-, Wasser- sowie Kanalbau, technischen Dienst), als Luftschutzhauswart und Luftschutzblockwart oder als Stellvertreter zur Verfügung zu stellen." Für die Aufstellung zum Luftschutzhauswart und Luftschutzblockwart kamen in erster Linie in Betracht „ die 45 bis 65 Jahre alten Männer, sowie die 18 bis 65 Jahre alten Frauen und Mädchen. Freiwillige sind zu bevorzugen."4) Ein Luftschutzhauswart sollte für je 20 bis 30 Einwohner von benachbarten kleineren Gebäuden zuständig sein, ein Luftschutzblockwart (nebst Stellvertreter) sollte für fünf bis zehn Luftschutzhauswarte aufgestellt werden, die zusammen eine Luftschutzgemeinschaft bildeten. Der Bevölkerung war anbefohlen, an den Übungen und sonstigen Vorbereitungen des Selbstschutzes unter Anleitung der zuständigen Führer des Sicherheitsund Hilfsdienstes bzw. Selbstschutzes mitzuwirken, Luftschutzmaßregeln auszuführen und zu beachten. Wohnungs- und Hausbesitzer waren insbesondere verpflichtet, den Luftschutzhaus- und -blockwarten und deren Stellvertretern im Zusammenhang mit Luftschutzmaßnahmen Zutritt zu ihrem Eigentum zu ermöglichen.
Daß es zumindest bis 1937 erhebliche Schwierigkeiten bei der Durchführung der Übungen, Appelle und Alarme gab, geht aus wiederholten Klagen des Rosenheimer Polizeiinspektors Schilcher hervor.5) Die zu Luftschutzübungen Eingeteilten waren mehrfach nicht bereit, an den Übungen teilzunehmen, viele sahen das ganze als „Krampf an.6)
Wegen dieser oft ablehnenden Haltung forderte man in Rosenheim die Möglichkeit einer wirksamen Strafverfolgung für „Drückeberger". Die Polizeidirektion München mußte freilich noch am 29. Mai 1936 darauf hinweisen, daß aufgrund der Tatsache, daß „das Luftschutzgesetz noch nicht erläutert ist, [...] zur Brechung solchen Widerstandes keine Zwangsmittel zur Verfügung stehen."7) Im übrigen beeilte man sich anzumerken, daß im Luftschutzort München keinerlei Widersetzlichkeiten vorgekommen seien. Man schien im Gegenteil auf seiten der Dienstverweigerer zu stehen, wenn man betonte, daß es in München nicht selten berechtigte Einsprüche gegen die Teilnahme an Übungen gegeben habe, und darauf hinwies, daß „eine gütliche Aussprache, eine Aufklärung über Notwendigkeit der Dienstleistung und eine bestimmte, aber in anständigem Ton gehaltene Aufforderung zur Teilnahme [...] noch immer Erfolg gehabt" habe. Am 1. August 1936 wurde in einer Mitteilung des Nachrichtendienstes zu den Luftschutz-Ortsanweisungen nochmals betont, daß „zur Durchführung von Vorschriften der vorläufigen Ortsanweisung, die sich mit der Luftschutzpflicht im Sinne des § 2 des Luftschutzgesetzes vom 26.6.1935 8) [...] befassen, [...] vor Erlaß entsprechender Durchführungsbestimmungen zum Luftschutzgesetz ein Zwang nicht ausgeübt werden" dürfe.9) Eine ortspolizeiliche Vorschrift der Stadt Traun-stein, die die Möglichkeit der Strafverfolgung von Luftschutzdienstverweigerern einräumte und am 13. August 1936 von der Regierung von Oberbayern genehmigt wurde, nahm Polizeiinspektor Schilcher am 28. November zum Anlaß, um beim Rosenheimer Oberbürgermeister Zahler erneut einen Vorstoß wegen einer ortspolizeilichen Vorschrift zu wagen, da, wie er sagte, die „Drückebergerei [...] eingerissen" sei.10) In seiner beigefügten Aufstellung über die Anwesenheit der Mannschaften des Sicherheits- und Hilfsdienstes beim Alarm vom 6. November 1936 mußte er 156 Fehlende gegenüber 260 Angetretenen vermelden. Schilcher scheint mit seinem Anliegen schließlich doch Erfolg gehabt zu haben, denn die vom Rosenheimer Oberbürgermeister erlassene Bekanntmachung vom 28. Januar 1937 stellte Zuwiderhandlungen gegen die Luftschutzverordnungen unter Strafandrohung, nämlich 150 RM Geldbuße oder vierzehntägige Haft!11)
Bis zum Kriegsjahr 1943 war dann die Luftschutzorganisation höchst ausdifferenziert. Einsatzmannschaften gab es im wesentlichen in folgenden Bereichen: Örtliche Luftschutzleitung (20 Personen), Schutz- und Kriminalpolizei (unter anderem zur Bedienung der Luftschutzfern- und Warnfernsprech-stellen, der Alarm- und Warnsysteme im Fall eines Fliegerangriffs, Feststellen der bei Luftangriffen Getöteten), Nachrichtenwesen, bestehend aus Meldern und den eigentlichen Nachrichtentrupps (erstere aus HJ-Angehörigen rekrutiert), Feuerlöschwesen und Gasabwehrdienst, Luftschutz-Sanitätsdienst, Luftschutz-Rettungsstellen und Veterinärdienst. Die Selbstschutz-Organisation setzte sich aus zehn Untergruppen, 188 Luftschutzblocks und 682 Gemeinschaften, insgesamt aus 4500 Männern und Frauen zusammen. In der Übersicht, aus der die genannten Fakten stammen,12) wird betont, daß die Ausbildung des Selbstschutzes durch den Reichsluftschutzbund ständig fortgesetzt werde. Außerdem seien die Luftschutzgemeinschaften einer ständigen Kontrolle durch die Amtsleiter des Reichsluftschutzbundes und der Polizei unterzogen.
Ungenügend waren in Rosenheim aber immer noch die vorhandenen Luftschutzräume. Zum Stand vom 1. November 1943 13) gab es erst fünf öffentliche Luftschutzräume für nicht mehr als 650 Personen. Über bombensichere Bunker verfügte die Stadt nicht, splittersicher konnten in Kellern etwa 2100 Menschen, in behelfsmäßigen Luftschutzräumen ungefähr 500 Bürger und in Deckungsgräben oder Splitterschutzgräben etwa 150 Leute untergebracht werden. Bei rund 22000 Einwohnern bedeutete dies, daß im Ernstfall etwa 15500 Personen ungeschützt gewesen wären. Aufgrund dieser Bilanz mußte die Stadt für weitere Luftschutzräume und Deckungsgräben sorgen. Bis zum 20. Februar 1944 konnte, wie eine weitere Aufstellung14)zeigt, die Zahl der im Angriffsfall geschützten Menschen auf 10 525 erhöht werden. So wurde ein weiterer öffentlicher Luftschutzraum für 150 Personen ausgebaut, die Luftschutzräume des Selbstschutzes wurden auf insgesamt 240 aufgestockt und konnten 6200 Menschen fassen. Ferner befanden sich zu diesem Zeitpunkt weitere 46 Luftschutzräume für 2 255 Personen sowie vier Deckungsgräben für 400 Personen im Bau.

Die Luftangriffe auf Rosenheim

Die Luftangriffe der Allheiten, die ab dem Frühjahr 1942 auf deutsche Städte erfolgten, machten auch vor Rosenheim nicht halt.15) Das traurige Fazit nach insgesamt 14 Bombenangriffen: Eine Vielzahl total bis leicht beschädigter Gebäude, zahlreiche Obdachlose, 179 Verletzte und 201 Tote. Relativ spät, am 20. Oktober 1944, zu einem Zeitpunkt, zu dem München bereits schwerste Bombenangriffe hinter sich hatte, erfolgte in der Mittagszeit, von 12.47 bis 13.17 Uhr, mit mehreren hundert Flugzeugen und rund 1000 abgeworfenen Sprengbomben der erste Luftangriff auf Rosenheim, der 27 Tote und 59 Verwundete forderte. Angriffsziel waren, wie bei fast allen bis zum 21. April 1945 noch folgenden Angriffen, insbesondere die Bahnanlagen, galt Rosenheim doch als bedeutender Verkehrsknotenpunkt, als Schnittpunkt der wichtigen Bahnverbindungen München - Salzburg - Wien und München - Innsbruck - Italien.
Obwohl es sich bei den bis Ende 1944 erfolgten sechs Luftangriffen nicht um ausgesprochene „Großangriffe" handelte und auch die den Fernverkehr unterbrechenden Gleisschäden jeweils recht schnell wieder zumindest provisorisch behoben werden konnten, hatte es doch bereits 47 Bombenopfer gegeben.
Nachdem am 20. Januar, 5. Februar und 16. Februar drei weitere Angriffe aus der Luft erfolgt waren, kehrte bis Anfang April Ruhe ein, die von der Bevölkerung als „Ruhe vor dem Sturm" interpretiert wurde, zumal Rosenheim fast täglich von Aufklärern und Bombergeschwadern, die Mühldorf und Landshut anvisierten, überflogen wurde. Der 9. April brachte schließlich den zehnten Fliegerangriff, der mit 12 Flugzeugen und acht Sprengbomben einmal mehr auf die Bahnanlagen, die Eisenbahnbrücke und die Salzburger Strecke abzielte. Ebenso wie der nur zwei Tage später stattfindende Angriff waren zumindest weder Tote noch Verletzte zu beklagen.
Der 18. April ging in die Rosenheimer Stadtgeschichte als Tag des schwersten Luftangriffs ein: Innerhalb von 15 Minuten, in der Zeit von 14.40 bis 14.55 Uhr, fielen aus rund 200 Flugzeugen nicht weniger als 1300 Sprengbomben in Zielrichtung Bahnhof und Vorbahnhof, ein Bombenhagel, der 53 Tote, 36 Verwundete und etwa 800 Obdachlose verursachte. „Vom Bahnhofsgebäude blieb nur noch ein kleiner Teil stehen. Im Bahnhofsbereich wurden Gleise in einer Gesamtlänge von mehr als 20 Kilometern zerstört und unzählige Güter- und Personenwagen vernichtet."16)
Die letzten Bomben fielen auf Rosenheim bei den Luftangriffen am 19. und 21. April. Der Fußgängersteg über die Bahnanlagen (Kleppersteg) lag nun völlig zerstört, und viele Gebäude in Bahnhofsnähe waren ebenfalls mehr oder weniger in Mitleidenschaft gezogen worden. Schwer getroffen worden waren vor allem die Klepperwerke. Vereinzelt trafen die Bomben auch anderen Gegenden der Stadt sowie die Stadtrandgemeinden Ziegelberg, Stephanskirchen, Westerndorf St. Peter und Pfaffenhofen am Inn. Von den mindestens 173 Blindgängern, die 1944/45 fielen, konnte der größte Teil noch während des Krieges geborgen und entschärft werden.
Wie das Oberbayerische Volksblatt 1964 17) meldete, waren seit 1958 immer noch 38 solcher Blindgänger bekannt, ihr annähernder Liegeplatz in den Gemeinden bzw. Stadtteilen Aising, Happing, Westerndorf St. Peter, Stephanskirchen, Rohrdorf, Lauterbach, Großholzhausen und Wildenwart ist zum Teil sogar in den Gemeindeplänen vermerkt.

Claudia Willibald

Anmerkungen:

1) Unter der Schlagzeile „Deutschland ist stark ,luftempfindlich'" wird im RA vom 17. 3.1933 über die Münchner Luftschutz-Ausstellung berichtet.
2) RA vom 15. 3.1933 und RTW vom 15./ 16.3.1933.
3) Reichsstrafgesetzbuch § 368, Ziffer 8. Polizeistrafgesetzbuch Art. 2 Ziffer 14 und Art. 6.
4) StARo, Altregistratur II A 8 - 32, zitiert aus der Bekanntmachung des Oberbürgermeisters von Rosenheim betreffs des zivilen Luftschutzes vom 28.1.1937.
5) StARo, Altregistratur II A 8 - 32.
6) Ebenda. So bezeichnete das Ganze ein Elektromonteur, der am 3. 5.1936 gegen 6 Uhr früh von seinem Truppführer aufgefordert wurde, sich zum Alarmplatz zu begeben, und daraufhin erklärte, er habe die ganze Woche gearbeitet und wolle seine Ruhe haben.
7) Ebenda.
8) RGBL 1935, Teil I, S. 827.
9) StARo, Altregistratur II A 8 - 32.
10) Ebenda.
11) Ebenda.
12) StARo, Protokolle B/N 1513.
13) Ebenda. Die öffentlichen Luftschutzräume waren in der Gemäldegalerie, in der Bahnhofstraße 5 bei Stacheter und Himmer, in der Samerstraße 13 im Pernlohnerbräukeller, in der Kaiserstraße 1 bei Ruedorffer sowie in der Innstraße 22 bei Heinritzi.
14) Ebenda.
15) Alle Angaben stammen aus: StARo, Benutzerakt Zweiter Weltkrieg.
16) OVB vom 4.4.1955.
17) OVB vom 20.10. 1964.