Braune Kampfliteratur und dichterische Selbstbehauptung

„Die Züge wurden umgeleitet über Rosenheim, durchs Dritte Reich...". Diese Salzburg-Notiz Walter Mehrings vom Juni 1937 1) erweitert nicht nur die Fundstellensammlung zu „Rosenheim und seine Bahnhöfe in der Literatur",2) sie ist auch charakteristisch für die politische Lage im letzten Jahr vor der Okkupation Österreichs durch die Nationalsozialisten.
Das gängige Bild der Kreisstadt Rosenheim zwischen 1933 und 1945 ist geprägt durch die Stichworte „Erste Ortsgruppe der NSDAP außerhalb Münchens" und „Stadt Hermann Görings".3) In der neuen Welle der Reiseliteratur, die sich auf Autofahrten und damit seit dem Beginn des Eisenbahnzeitalters wieder stärker auf Straßenbenützung bezieht, läßt der Kontakt zu dem alten Verkehrsknotenpunkt jedoch deutlich nach, denn seit dem Bau der in der ersten deutschen Republik bereits projektierten und mit der Avus in Berlin längst begonnenen Autobahnen kommt die Kreisstadt meist nur mehr als „Abzweig nach Rosenheim"4) zur Sprache. Nur dort, wo auch Ortsbeschreibungen hinzugeliefert werden, geht man auf neuere Stadtentwicklungen ein. Dies allerdings unternimmt man auf eine erstaunlich gegensätzliche Weise.
Der Bogen der Stadtaspekte spannt sich von der NS-Gemeinschaftsarbeit „Geliebtes Oberbayern"5) über Maria Berchtenbreiters „Urlauber-Büchlein"6) bis zu Gustav Geiers grundsachlichem und gerade dadurch fast herausfordernd wirkendem Landschaftsband zum Inn-tal von Rosenheim bis Kiefersfelden.7) Durch Geiers wohltuend unbeirrbare Orientierung an den Fakten und überlegene Auswahl und Gliederung steht seine Schrift wie ein sprachlicher Fels inmitten der Hektik stilistischer Balztänze der Zeit. Mit seiner Würdigung sei auch auf eine Reihe von Themen verwiesen, die Gustav Geiers Publikation kenntnisreich behandelt und die auf dem begrenzten Raum, der diesem Überblick zur Verfügung steht, konzentrierter gar nicht berücksichtigt werden können.
Allen anderen Gegenständen voran soll der Band auch stellvertretend für die gesamte Spezialliteratur zu Hans Klepper stehen.8) Dieser Unternehmer ist sportlich und wirtschaftlich in aller Welt bekanntgeworden und hat den Namen und das Ansehen Rosenheims wie kein zweiter damals verbreitet. Faltboot und Kleppermantel haben einen eigenen Motivbereich der Darstellungsgeschichte dieser Region begründet. Darin eingebettet, haben die Erprobungs- und Erlebnisfahrten der Klepperboote auf Inn, Sims, Mangfall und Kalten ein zusätzliches Literaturkapitel der „Vierflüssestadt Rosenheim" eröffnet.

Bücherverbrennung

Einen völlig anderen „Auftakt" zur Neubewertung des literarischen Lebens dieser Stadt und ihres parteipolitisch hochbrisanten Umfelds vom Söllhubener Moränenhügel9) über Nußdorf (Reichsleiter Bouhler!), Flintsbach (Holzers „Madronbuch"10)), Neubeuern (Florian Seidls Roman „Neubürgen"11)), Brannenburg (Karl Benno von Mechow / Bernt von Heiseler und Haus Vorderleiten) bis weit in die Feilnbacher Bucht des Bad Aiblin-ger Altlandkreises hinein (etwa Hans Heyck: Das Welpennest - mit der sehr aufschlußreichen, weil „selbstentnazifizierten" Neufassung „Pegasus im Paradies"12)) liefern die
weltweit bis heute diskutierten Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933. In Rosenheim, besonders eifrig, wie einige Inntal-Ortsgruppen damals waren, fand dieser Vorgang bereits drei Tage früher statt.13)So stehen in den beiden Tageszeitungen bereits am 8. Mai 1933 die Vollzugsberichte vom „Tag der Jugend in Rosenheim", an dessen Abend um 19.30 Uhr (erster Maisonntag) das Jungvolk, die Hitlerjugend und der Bund deutscher Mädchen zu einer öffentlichen Kundgebung aufmarschiert waren. „Unter den schneidigen Marschklängen der SA-Kapelle setzte sich gegen halb 8 Uhr der Festzug in Bewegung, in dem etwa 300 Buben und Mädels vom kleinsten Knirps bis zum stattlichen Jüngling im schlichten Braunhemd mitmarschierten. Nach dem Umzug durch die Straßen der Stadt bildete die Jugend am Max-Josefsplatz vor der Marienapotheke ein riesiges Viereck, um das sich alsbald eine große Zuschauermenge gruppierte. Dann ergriff Pg. Cramer - Brannenburg, den wir schon bei zahlreichen Kundgebungen als vorzüglichen Redner kennen gelernt, das Wort. Scharf wandte er sich gegen die Theorien und Lehren des Marxismus. Eine marxistische Zeitung z. B. habe einmal das Wort geprägt: 'Die Arbeit ist eine Erfindung des Teufels'. Dieser Ausspruch von Drückebergern und Nichtstuern könne niemals Leitgedanke des deutschen Volkes sein. Die mächtigen Kundgebungen im ganzen Deutschen Reiche am Tag der nationalen Arbeit haben endlich gezeigt, wie unser Volk die Arbeit, die zu seinem Segen gereicht, wirklich einschätzt".
Dann geht der Bericht auf den Kern der Abendveranstaltung ein: „In seinen weiteren Ausführungen geißelte der Redner die marxistische Schund- und Schmutzliteratur, die in jahrelangem Einwirken unser Volk zersetzt und vergiftet hat. In Zukunft würden die Nationalsozialisten kein Buch und keine Zeitung mehr dulden, in denen vom Marxismus in verherrlichender Form die Rede sei. Alle marxistische Literatur müsse ausgerottet und verbrannt werden. ,Diese lodernden Flammen mögen auch in Euren Herzen, deutsche Jugend, ein Feuer entzünden, das alles reinigen, allen Schmutz vernichten soll' Der Redner schloß seine Ausführungen mit einem Appell an die Jugend zu Ehre, Freiheit, Vaterland, Opfertreue und Pflichterfüllung zu unserem deutschen Vaterland."
Dem Literaturkenner fällt an dieser Stelle auf, daß Cramer offenbar keine Unterschiede innerhalb der verfemten Büchermassen machen wollte oder konnte. Wie die binnen Jahresfrist erstellten Bücherentfernungslisten der „Reichsschrifttumskammer" zeigen, ging es von Anfang an keineswegs nur um den pauschalen Marxismusbegriff. Der geistige Horizont der Rosenheimer Verbrennungsbegeisterten bedürfte einer eigenen Untersuchung. Der Zeitungsartikel schließt mit der Schilderung der Taten: „Noch während seiner Rede hatten die Jungens begonnen, die auf einem Handwagen mitgeführten marxistischen Bücher und Schriften aufzuschichten, sie mit Petroleum Übergossen und angezündet. Das gemeinsam gesungene Deutschlandlied beendete die eindrucksvolle Kundgebung, der sich dann noch einige musikalische Darbietungen der SA-Kapelle anschlossen."14)
Mit diesen literaturfeindlichen Feuerteufeleien war auch der Startschuß zur „Säuberung" Rosenheimer Buchhandlungen und Büchereien gefallen.15)Im Vollzug des Reichskulturkammergesetzes sollte umgehend das „Volksbüchereiwesen" in Angriff genommen werden. Vor allem die katholischen Pfarrbüchereien versuchten hier aber immer wieder eine gewisse Art von hinauszögernder Resistenz. Eine stille, weil geistig-geistliche Weise von innerem Widerstand, besonders auch in den nie ganz aufzulösenden Jugend- und Kolpingsgruppen, ist bis 1945 nachweisbar. Die NS-Literaten wußten sehr wohl, daß sie sogleich eine eigene Presse und eigenes „Buchgut" aufbauen mußten.

Kampfschriften

Im Frühsommer 1933 sind „Die Deutschen Föhnhefte"16) im Anrücken. Ursprünglich mit der Ortsangabe „München" ausgestattet, erscheinen sie vom Herbst 1933 an mit dem fünften Heft in Rosenheim. Die Beiträge werden überwiegend durch Rosenheimer Autoren bestritten, allen voran Maria Berchtenbreiter und Hans Birling. Laut Impressum17) der ersten Nummer bringen sie „Schilderungen, Aufsätze, Gedichte und Erzählungen aus der deutschen Geschichte. Sie wollen in Wort und Bild die Feinde des Vaterlandes brandmarken, den harten und blutigen Kampf des Nationalsozialismus nochmals allen vor Augen führen, bis zum endlichen Sieg unseres Führers Adolf Hitler. Mit dem Kanzler des III. Reiches wollen sie weiterkämpfen, bis jede deutsche Seele gewonnen, jeder Volksschädling ausgerottet ist." Dann folgt die Ankündigung eines Programms, dessen Umfang erstaunlich und ohne eine längst aktive Literatengruppe undenkbar ist.
„Die ersten 40 Hefte ,Und Ihr habt doch gesiegt!' sind vorwiegend den Märtyrern der nationalen Revolution gewidmet. Jedes Heft bringt einzelne Heldenschicksale aus dem heroischen Kampf der vergangenen Jahre, den jede deutsche Familie und vor allem die deutsche Jugend immer im Gedächtnis bewahren soll." Wunsch und Intention sind eins.
„Möge es den Deutschen Föhnheften vergönnt sein, das deutsche Volk auf seinem begonnenen Weg zur Freiheit und in glücklichere Zeiten hinein zu begleiten." Gleich zu Beginn ist die Schriftleitung bei Maria Berchtenbreiter, Rosenheim.
Diese Ankündigung hatte erwarten lassen, daß in erster Linie „historisches" Material aus den Anfängen der NS-Bewegung ausgebreitet würde: Blutzeugen aus allen Himmelsrichtungen, nach einem stets wiederkehrenden Schema, auch der Bebilderung, würden zum „ewigen Gedenken" vorgestellt. Entgegen dieser Programmkennzeichnung treten die Hefte jedoch vom Anfang an als ein dem Kampf und der Propaganda des Tages gewidmetes Podium auf und tragen eindeutig den Charakter einer stets aktuellen NS-Monatsschrift. In sehr geschickter Mischung der literarischen Gattungen und unter Heranziehung gezielt eingefügten Bildmaterials, immer wieder auch mit örtlichen Rosenheimer Bezügen, stellen sie für die ersten Jahre der NS-Zeit das entscheidende Veröffentlichungsforum dar. In einer Monographie über die Anfangsjahre dieses NS-Feuilletons und seiner Herkunft aus der Agitationsliteratur wäre zu zeigen, mit welchen Mitteln diese Funktion einer breiten Streuung wahrgenommen wird. Erstaunlich ist, daß die sonst üblichen Angaben zu Erscheinungsdatum und Mitarbeiterschaft außer acht gelassen werden dürfen, nicht einmal ein regelmäßiges Impressum ist Pflicht, so daß die Hefte zusätzlich den Charakter von Flugschriften bekommen. Zahlreiche Texte bestätigen diese Intention ausdrücklich. Streckenweise wird der Eindruck erweckt, als sollte dem namenlosen „schreibenden Volksgeist" der neuen Ära ein weithin tönendes Sprachrohr geschaffen werden.
Zusätzlich fällt auf, daß Texte aus den Föhnheften in den Rosenheimer Anzeiger übernommen werden. 1933 erfolgt dies fast gleichzeitig, wie der Abdruck des Zeitgedichts „Hitler im Rundfunk" im Föhnheft Nr. 1 und unter dem erweiterten Titel „Adolf Hitler im Rundfunk" im Rosenheimer Anzeiger vom 29./30. April 1933 zeigt. Später ist ein teilweise beachtlicher zeitlicher Abstand feststellbar. Durch dieses Vorgehen konnte auch die Autorschaft vieler zunächst in den Föhnheften anonym erschienenen Texte nachgewiesen werden. Für die indoktrinierende Schriftleitung erfolgte durch den späteren Wiederabdruck eine literarischpublizistische Verzahnung im Sinne der gewünschten „Gleichschaltung".
Das in der Eröffnungsnummer der Föhnhefte anonym erschienene Hitlergedicht ist Reportage, Andacht und Dokumentation eines scharfen Epochenschnittes zugleich. Seine Interpretation erschließt die für viele damals typische Erwartungsund Unterwerfungshaltung. Der Text gibt darüber hinaus einen selten so unverhüllt zutage tretenden Einblick in die kulturpsychologische Umpolung einer „volksnahen" Schriftstellerin ihrer Zeit.

Hitler im Rundfunk
In weicher Lampenhelle ruht der Raum,
Wir sitzen still in feierlichem Lauschen,
Indes die Ätherwellen leise rauschen
Durch dieser Stunde tieferfüllten Traum.

Wir hören eine Stimme voll und stark,
Die oft metallisch aufglänzt, hart wie Eisen,
Wie blanker Stahl aus alten Heldenweisen ---
Die Stimme spricht - wir beben bis ins Mark.

So sehr sind wir gepackt, so ganz erfaßt
Von diesen Worten, die zur Höhe tragen,
Daß wir verstohlen nur zu atmen wagen,
Seit diese Stimme hier bei uns zu Gast.

Sie zeigt uns eine Sendung groß und rein,
Davor wir mit gesenkten Augen stehen
Und stumm in heißer Herzenstiefe flehen,
Wir möchten wirklich ihrer würdig sein.

Die Stimme fordert, lodert, braust und glüht
wie Feuerbrand, wie Frühlingssturm der Lüfte,
Und was wir eingesargt in Grab und Grüfte,
Steht wieder auf- und alle Hoffnung blüht.

NS-Feuilleton

Ab dem 1. Januar 1935 wird, jeweils in der Wochenendausgabe des Rosenheimer Anzeigers, eine neue und vielfältige Veröffentlichungsplattform geschaffen, die Beilage „Der Sonntag". Sie bleibt bis in die ersten Kriegsjahre hinein erhalten und wird vor allem jeweils auf ihren ersten Seiten zum entscheidenden Uterarischen Dokument nationalsozialistischer Literatur- und Kulturpolitik. Durch die Tatsache, daß sich Maria Berchtenbreiter in den Jahren 1936 bis 1940 als die Nummer eins aller Rosenheimer Autoren der streng partei-, ja führerorientierten Richtung kontinuierlich und an verantwortlicher Stelle betätigen konnte, bieten die vier Jahrgänge bis zur Kriegszeit das literarische Rückgrat der Schrifttumsbewegung im damals äußerst bedeutsamen Raum zwischen München und Salzburg, dem sogenannten „Traditionsgau".
Man muß an dieser Stelle bemerken, daß Teilen der Bevölkerung längst vor 1933 bekannt war, daß „da Hitla", später selbstverständlich nur „der Führer" genannt, unzählige Male zwischen seinem frühen NS-Bergstützpunkt im Berchtesgadener Land und dem späteren „Braunen Haus" in der „Hauptstadt der Bewegung" hin- und herpendelte und vor dem Bau der deshalb ja zusätzlich besonders wichtigen und nahezu „mythischen" Charakter annehmenden „Reichsautobahn" oft durch Rosenheim mußte. Wer will, könnte sich sogar aus der Perspektive eines Hauses in unmittelbarer Mittertor-Nähe plastisch vorstellen, wie der Weg des Parteiführers durch Rosenheims „Herzmitte" als immer wieder neu belebender Impuls empfunden wurde. Tatsächlich wird der literarische Brückenschlag zu „Berchtesgaden" und zu „Hitlers Haus", wie Kasimir Edschmid einen 1962 veröffentlichten Aufsatz18) überschrieb, in den Jahren ab 1933 in zahlreichen journalistischen und „dichterischen" Beiträgen verschiedenster Art vollzogen. Er muß aufgrund seines Umfanges und seiner Bedeutung Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein und soll hier nur skizziert werden.
Bereits in der ersten Nummer der „Deutschen Föhnhefte" macht das sechsstrophige Gedicht „Berchtesgaden und sein Volkskanzler" den Auftakt.19) Auf den folgenden Seiten wird das Thema „Hitler Nachbar des Hohen Göll" breit abgehandelt.20) Spätere Hefte berichten immer wieder über Hitlers „Wahlheimat", so etwa unter den Titeln „Berchtaland erwartet den Winter"21) oder „Schlittenfahrt in der Ramsau".22)
Schon ab dem ersten Jahr der „Bewegung" steigern sich die ideologischen Stilübungen gerade in den Weihnachtsnummern zu einem schier „mythischen" Feier- und Erlebnisrausch, der eine letzte Steigerung dann im Kult der sechs „Kriegsweihnachten" erfährt. NS-Durchhaltepropaganda bedient sich schrankenlos tiefster Gefühle und spannt „deutsche Innigkeit" nach jahrelanger Brauchtums-Umfunk-tionierung und Seelen-Umerziehung bis in die letzten Fasern hinein vor den Karren des angeblichen „Endkampfes". Auf diesem langen Weg, dessen Wurzeln bis in die frühen Zwanziger Jahre zum bald verstorbenen „Kampfdichter" Dietrich Eckart zurückreichen, stellt die Weihnachtszeit von 1938 einen unübersehbaren Höhepunkt dar: Man kann sie nach der umjubelten „Eroberung" Österreichs Seite an Seite mit den Kampfgefährten aus Tirol und Salzburg erleben. Ein erster Querschnitt durch die Literatur dieser „Vereinigungsepoche" ist bei Ferdinand Quidam gesammelt und ausgewertet.23)
Stellvertretend für dieses riesige Feld ideologischer Umwertung und geistig-politischer „Ausbeutung" stehe die Brauchtumsbetrachtung „Das Weihnachtsschießen".

„Der Salzberg ist eine wehrhafte Gegend. Er kann blitzen und krachen, Pulverwölkchen steigen lassen über Baumwipfel - aber kein Pazifist braucht sich deswegen zu entrüsten.

Es lauern keine Geschütze im Bergwald; das hat unser Volkskanzler nicht nötig. Den schützt die Liebe des Volkes, den bewacht die Treue von Millionen, dem ist die beste Waffe sein gutes Gewissen, sein gutes Recht. Was keine Abrüstungskonferenz der Welt jemals abschaffen kann, das ist das Berchtesgadener Weihnachtsschießen.

In der heiligen Nacht bricht das Tal von Berchtesgaden sein winterliches Schweigen. Unter dem mitternächtigen Sternenhimmel walten die Weihnachtsschützen ihres alten Amtes. Sie ,schießen das Christkindl an'. Nicht um es zu töten, beileibe nicht! - um es zu ehren und würdig zu empfangen als Königssohn, der es ist und bleibt in Ewigkeit.

Und dieses Knattern und Krachen, aufgefangen vom grollenden Echo der Berge, gibt der heiligen Nacht erst ihre große Weihe. Es erinnert daran, daß jener kleine Friedensfürst in der Krippe nicht nur gekommen ist, uns den Frieden zu bringen, sondern auch - das Schwert.

Das Schwert als Sinnbild der Kraft, der Größe, des Mutes! Das Schwert als Sinnbild eines heiligen Kampfes, wie ihn Hitler versteht."24)

Literarische Spielräume

Ein vielfältiges und beachtenswertes Kapitel für sich wäre die Weiterexistenz vor allem römisch-katholischer Gruppierungen im Rosenheimer Raum, die nach wie vor im Brauchtum und in der Glaubensübung auch ihren literarisch-künstlerischen Ausdruck fand. Stellvertretend seien genannt: die Künstlerfamilie Karl Caspar und der befreundete Konrad Weiß,25) Gustav Geier,26) Artur Landgraf27) und Nicolaus Pronberger.28) Georg Britting und Eugen Roth haben sich in den 30er und 40er Jahren gern in Rott am Inn aufgehalten und dabei auch zahlreiche Texte im und zum Rosenheimer Raum geschaffen, Britting zum Beispiel die Titelgedichte zu seinem Lyrikband „Rabe, Roß und Hahn" (1939) und Roth die Erzählung „Der Fischkasten" (1937 bzw. 1942).
Auf die Sonderrolle, die der evangelisch-deutsche Autor Bernt von Heiseler von Brannenburg aus in der Inntallandschaft und darüber hinaus durch umfangreiche Publizistik und Belletristik im „Großdeutschen Reich" spielte, sei hier nur verwiesen. Das veröffentlichte Schaffen könnte für unsere Zwecke sehr ergiebig herangezogen werden, bedürfte jedoch vorher einer genauen kritischen Untersuchung. Sein seitenstarker Roman „Versöhnung"29)von 1953 liefert zwar einen Längsschnitt durch die Geschichte des „Dritten Reichs", läßt sich andererseits aber an nahezu keiner Stelle mehr in Deckungsgleichheit zu den inzwischen erschließbar gewordenen literarischen Nachweisen der realen NS-Verhältnisse im Rosenheimer Raum bringen. Allein schon die kontinuierliche Veröffentlichungsarbeit einer einzigen Rosenheimer Schriftstellerin in allen Phasen der „Hitlerzeit", anonym oder nicht, an das Tageslicht der Rezipierbarkeit gebracht, hat eine solche Materialfülle angehäuft, daß Heiselers Rechtfertigungs- und Erklärungsversuche im Kielwasser von Hans Carossas Band „Ungleiche Welten"30) einer nachvollziehbaren Stringenz entbehren.
Das letzte bisher ausgewertete Heft 23 des „Deutschen Föhn-Verlags Rosenheim" spricht eine allzu deutliche Sprache von dem, was damals „wirklich" war. Im Sommer 1935 soll man „Interessantes aus der Stadt der Bewegung" erfahren, nicht zuletzt auch mit „maßstäblichen Erinnerungen" aus der Zeit vor 40 Jahren konfrontiert werden.31) Ein markiger und gesperrt gedruckter Kernsatz daraus lautet: „Stänkerer und Miesmacher, die sich über die ,Ergebnislosigkeit der neuen Zeit' so gerne auspusten, bräuchten nur das Heute mit dem knappen Gestern vergleichen. Auf allen Gebieten."32) Und das Finale des Autors Hans Birling tönt folgendermaßen: „Nie ankommen, immer weiter gehen, das ist das Leben. Und die wirkliche Größe eines Lebens hat uns doch erst die Weltanschauung des Nationalsozialismus vermittelt...".33)
Daß man damals trotzdem noch einen gemäßigten konservativ-bürgerlichen Kurs steuern konnte, hat Hans Mittl, der erste Schriftleiter der Beilage „Der Sonntag", bewiesen. Vom 1. Januar 1935 bis Ende Januar 1936 war er für jede Folge des Wochen-Periodikums des Rosenheimer Anzeigers verantwortlich und hat in dieser Zeitspanne einer beträchtlichen Anzahl von Autoren mit Beiträgen zu NS-fernen Themen das Wort gelassen. Unübersehbar sind aber auch in diesem ersten Jahr schon die Texte der „neuen Zeit".
In der sechzehn Seiten starken Beilage des „Sonntags" waren umfangreiche Fortsetzungen eines Familienromans enthalten, so daß zusammen mit dem täglichen Roman-Feuilleton ständig zwei Romane im Leseangebot der Tageszeitung waren. In grundsätzlichen Einführungsworten von Verlag und Schriftleitung auf der ersten Titelseite unter der Überschrift „Der Wunsch vieler Leser!" wird ein literarisches Programm vorgetragen:
„Der Festkreis des Jahres soll in Abhandlungen heimatlichen Einschlags und in fesselnden Erzählungen zu Worte kommen. Die Beilage wird auch unseren allbeliebten , Oberländer Bauernfreund' enthalten. Unserer Frauenwelt soll auch eine Seite gewidmet sein. Heimatliche Sitte und Art kommen in einer weiteren Seite in Wort und Bild zu ihrem Recht. Unser Jugendland' wird in dem neuen Format ebenfalls vertreten sein. Humor- und Rätselseiten werden das Bild einer umfassenden Wochenschrift abrunden. Auf besserem, satiniertem Papier bieten wir außerdem in jeder Nummer eine lange Reihe hübscher Abbildungen.

Wenn wir für diese neue Gratis-Beilage den Namen ,Der Sonntag' gewählt haben, so haben wir damit zugleich auch unser redaktionelles Programm überschrieben. So wie nach sechs schweren Arbeitstagen der Sonntag von allen Menschen als ein Tag der körperlichen Entspannung und der inneren Sammlung gefeiert wird, so soll unsere Beilage ,Der Sonntag' als eine richtige Feierstundenlektüre Freude und Erholung in jede Familie bringen. Denn dieses Blatt ist für alle Familienmitglieder in Stadt und Land in gleicher Weise geschaffen. Es soll ein gerngesehener Sonntagsgast in jeder Oberländer-Familie werden."34)

Wie man sich den tieferen Sinn des Beilagenangebots vorstellt, das porträtiert der Programmaufsatz anschließend auch noch: „Sonntag - der Vater sitzt in Hemdärmeln auf der Hausbank, die Mutter ist mit einer Handarbeit beschäftigt und um sie sind die Kinder versammelt - das ist die Stimmung, in der unsere neue Wochenbeilage ihre Leser anzutreffen wünscht. Sie entspricht auch dem Bilde, das sich der Führer des deutschen Volkes Adolf Hitler vom deutschen Haus und der deutschen Familie macht. Eintracht und Friede in den vier Wänden des eigenen Heims, das ist auch das Motiv, das die besten deutschen Meister in Malerei und Poesie sich immer wieder zum Vorwurf ihres Schaffens genommen haben. [...] Er wird den stillen schönen Sonntagsglockenton der deutschen Heimat auffangen und in vielfacher Verstärkung wiedergeben."35)

Eindeutige Brauntöne sind nach der „Machtergreifung" im „Sonntag" und den ihm angeschlossenen Beilagen durch die Föhn-erprobte „erste Journalistin Bayerns"36) ab dem 1. Februar 1936 mit Folge 6 zu vernehmen. Offenbar war Schriftleiter Hans Mittl gesundheitlich nicht mehr zum Weitermachen in der Lage, denn schon für den 27. Juni desselben Jahres wird sein Tod gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt hatte seine Nachfolgerin, die bis zum 6. Jahrgang von 1940 nicht als Schriftleiterin, sondern unter der Stichmarke „verantwortlich für den Text" fungierte, die übernommene Sonntagsbeilage längst zu einem Bilderbuchmodell der „Bewegungsliteratur" umgeformt.

Lyrik der „Bewegung"

In der geringen Zeitspanne von sieben Wochen, von „Ostern" (Folge 16) bis „Pfingsten" (Folge 23), ist an einem halben Dutzend von Leittexten die Säkularisierung bisheriger Brauchtums- und Glaubenshaltung und die volle Entfaltung der neuen Partei-Ideologie interpretationsanalytisch nachvollziehbar. Das Titelgedicht „Ostermorgen" vom 11. April 1936 deutet die Hell-Dunkel-Mystik der uralten Liturgie entschlossen um und gibt ihr neue Inhalte: „Wir fordern für Heimat und Vaterland / Das ewige Recht auf Licht!"37) Von einem Auferstandenen ist keine Rede mehr. Geradezu zwingend widmet die nächste Beilage (Folge 17) das erste Gedicht dem Jubelruf „Der Führer hat Geburtstag!". Von dem „Geheimnis der Sendung", „unendlichen Tiefen" und von „Erfüllung" geht der imaginierte Volkssang und mündet in das gewünschte Wir-Bewußtsein: „Nur Einer ist Führer."38)
Rechtzeitig „Steht vor der Tür der erste Mai [...]" (Folge 18), und der uralte Topos von der Maienkraft wird aufbruchssüchtig und erfolgsselig umgedichtet: „Wie er die Haft des Winters bricht, / Wird Deutschland sich befreien."39) In dieser nichts mehr ausschließenden Verfügung über Gott und die Welt wird spornstreichs die Natur bei nächster Gelegenheit einbezogen: „Und wieder blühen die Tannen..." heißt das Gedicht vom Dienst am 2. Mai 1936, denn nur alle vier Jahre blühen die Bergtannen, und „nach altem Volksglauben sollen die Jahre, in denen die Tannen blühen, fruchtbar und glücklich sein". Rasch ist die Personifizierung zu grünen Tannenbräuten geleistet, und das NS-Vokabular kann triumphieren: „Die Tannenbräute stehen / Und raunen Ewigkeit."40) Es ist höchste Zeit für die anschwellenden Lyrikbände unter dem Standardmotto „Ewiges Deutschland".41) Am 9. Mai 1936 (Folge 20) bietet sich erneut der Einsatz von Vers und Strophe an, jetzt „Zum Muttertag 1936". Aber gerade an diesem Beispiel werden die Grenzen der Polit-Lyrik voll einsehbar: Das „Gereimsei" scheitert am eigenen ideologischen Kitsch; von einem „Wiegenlied mit seinem Zauberbann" in neoromantischem Sinn kann kein Zugeständnis sein.
Erst das letzte Exemplum der Demonstrationsreihe führt wieder, als NS-Kunstgebilde überhaupt beachtbar, zurück zu den Höhen und Abgründen damals zeitgemäßer Weltanschauungsdichtung im selbstgewählten Auftrag eines totalitären Staates. „Pfingstwunsch" heißt das lyrische Frontispiz der Folge 23 (30. Mai 1936). Sein beschwingter Tonfall und die geläuterte Weise des „Singens und Sagens" beweist, daß der 1933 so inbrünstig gefeierte „Föhn" sein Werk vollbracht hat: Die gerade laufende Olympiade scheint das in aller Welt zu beweisen.

Pfingstwunsch
Was soll uns Pfingsten bringen?
Viel Blühen und viel Singen - -
Ein Wandern froh in Wald und Hag,
Das schenke uns, du lieber Tag!
Das soll das Fest uns geben?
Den Sinn vom wahren Leben - -
Ein Ringen um das Glücklichsein,
Das, froher Tag, das hauche ein!
Was soll uns tief durchdringen?
Ein Wehen weißer Schwingen - -
Klar wie im Licht die Taube kreist,
So kehre ein, du neuer Geist!


In raffinierter Art spielt der Gedichttext mit den Elementen des christlichen Hochfestes vom Hl. Geist und formt Naturfrömmigkeit und spirituelles Vertrauen zu einem „Neuen Lied" der Bewegung. Sogar die Geisttaube der Volksliturgie ist zu einem reinen Lichtwesen geworden und verkündet das Wehen der Parteigedanken und ihrer künstlerischen Erfolgsprodukte. Der Bogen zurück zur Großmetapher der „Aufbruchszeit" ist weithin sichtbar, der Volkskanzler schwebt als „Über-Föhn" über allen Wassern der Erregung.
Was jetzt noch fehlte, vor allem den berglerischen NSlern Bayerns, war die Einverleibung des „Brudervolkes" im Süden. So nimmt es nicht wunder, daß der Stichtag der Besetzung Österreichs im März 1938 auch zu einem Testfall für nahezu alle dichterischen Potenzen der damaligen Zeit geriet. Felix Mitterers Stück „Kein schöner Land" (deutsche Erstaufführung am 27. Januar 1989 in Ingolstadt) hat dieses Problemfeld wieder stärker in die Diskussion gestellt. Maria Berchtenbreiters zahlreiche Tirol-Beiträge, zuerst scharf agitatorisch in den Föhnheften und freudig-begeistert-überschäumend nach dem „Anschluß" 1938, bilden eine literarische Fundgrube „erstklassiger" Kompetenz. Aus dem „Sonntag" sei beispielshalber verwiesen auf das Verkündegedicht „Es rief eine Glocke..." (19. März 1938), die Abenteuer- und Erinnerungsprosa „Tirolerland, du bist so schön..." mit dem Untertitel „Ernstes und Heiteres aus Tiroler Kampfjahren" sowie den äußerst aufschlußreichen Report „Am Fuße des Rofan" (2. April 1938). Im Zentrum dieser Schilderungen steht der Wiedersehenstaumel der bayerischen und Tiroler NS-Kämpfer, Rosenheim und Rattenberg sitzen endlich wieder gemeinsam am Tisch im Stubenwinkel, und ein nettes Mädel hat auf einmal „harte, glitzernde Augen", die kleine Hand, die soeben den Wein einschenkte, ballt sich zum Gericht über den niedergerannten autoritären Ständestaat:
„'Wir haben alle gesagt, den Wahlschwindel machen wir nimmer mit! Jetzt gehen wir auf die Straße und brüllen einfach los. Ganz gleich, was draus wird! Das lassen wir uns vom Schuschnigg nimmer gefallen...'.

Und dann erzählt sie, wie sie und ihre Kameradinnen tagelang überhaupt nichts mehr gegessen haben -'nur geschrien haben wir und gejubelt, wie das deutsche Militär kam, und auf alles andere vergessen. Die Arbeit hat der Großvater getan, wir sind überhaupt nimmer heim - und schließlich hat uns der Großvater ganz schüchtern gefragt, wann denn bei uns wieder was Ordentliches gekocht wird... '."42) Als dann auch die Wahlergebnisse im April 1938 die Besetzung Österreichs sanktionieren, ist der letzte Gipfel der Kampfzeit gefallen.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird Maria Berchtenbreiter kriegsdienstverpflichtet und übt die Tätigkeit einer Lokalschriftleiterin beim Rosenheimer Anzeiger mit den üblichen Aufgaben einer Berichterstatterin aus. Merklich gehen die feuilletonistischen Arbeiten auch im „Sonntag" zurück, der noch bis zum 28. Dezember 1940 als 6. Band der Reihe nachweisbar ist. Für diesen letzten Abschnitt der NS-Kriegszeit dokumentieren die Romane „Das Sumpforgelweib"43)und „Die Stadt wundert sich über Orlian"44)die durchaus dichterische Kraft dieser facettenreichen Schlüsselfigur des damaligen literarischen Rosenheims.
Rechnet man die Berchtesgaden-Literatur hinzu und bedenkt man zusätzlich, daß die Schriftstellerin nicht zuletzt auch durch ihren eigenen Namensanteil (Berchten - Frau Perchta - glänzende Mythin und Schreibebraut in Führernähe) sich einbringen konnte, so ergibt sich, zumindest von der journalistisch-publizistischen Seite her bewertet, ein einmaliger Werkfundus. Es dürfte damals keinen zweiten Autor gegeben haben, der so lange und so intensiv - auch durch sein „führernahes" Bergdomizil unweit von Hitlers „Haus Wachenfeld" - geradezu noch im Sprühfeld des NS-Springquells saß: Um so bemerkenswerter, wie streng sich das Romanschaffen der Künstlerin von diesen aktuellen Einflüssen abstinent hält, vor allem, was die Handlungsführung angeht, nicht jedoch in den Entwürfen einer „Neuen Ästhetik".45)

Schriftstellerinnen

Im Rückblick fällt auf, daß die Literatur dieser Epoche im Rosenheimer Raum eindeutig von Frauen dominiert wird, wenn auch oft von sehr unterschiedlichen Grundhaltungen aus. Da existiert eine breite Palette von Autorinnen. Auf der einen Seite steht die Kampfschrift-Publizistin und anerkannte deutsche Romanschriftstellerin, die im nächsten Atemzug bairische Sprache und Lebensart absolut „echt" und heute noch nachvollziehbar gestalten konnte. (Inwiefern sich solche Literatur, künstlerisch und volkskundlich betrachtet, durchaus von dem oft vorschnell, weil kenntnislos und unüberlegt geäußerten Vorwurf der „Blut-und-Boden-Haltigkeit" unbetroffen fühlen darf - das muß natürlich einer eigenen Untersuchung vorbehalten bleiben.)
Erstaunlich ist, daß Annette Thoma, spätestens ab 1933 durch ihre „Bauernmesse" weithin bekannt, bereits im Frühjahr 1934 für die agitatorischen Föhnhefte einen Beitrag liefert. Er trägt den Titel „Was ist Heimat?" (Heft 13, S. 413 - 416) und bezieht eindeutig Stellung: „Heimat aber ist uns heute notwendiger denn je, heute, da alle mitbauen müssen und dürfen an dem großen, neuen Reich, das aller Deutschen Vaterland ist... Heimattreue und Heimatliebe befähigen zur Vaterlandsliebe, zur opferfrohen, selbstlosen Hingabe für das Vaterland."
Annette Thoma zitiert als einzigen Autor den Tiroler Karl Springenschmid, der, ein gewandter Erzähler, damals in zahlreichen NS-Anthologien vertreten ist, und zieht dazu mehrmals dessen „Bauernkind" heran. Unmittelbar nach diesem Kampfheft-Artikel greift Maria Berchtenbeiter, die Schriftleiterin, die „bodengründigen" Verpflichtungsworte bekräftigend auf und würdigt Annette Thoma als „Vorkämpferin des großen Heimatgedankens, der in der Gegenwart immer mehr zur leidenschaftlichen Forderung wird". Sie steigert die für den Rosenheimer Raum sehr rare Aussage einer Autorin über eine andere schreibende Kollegin aus der Nachbarschaft mit dem Hinweis auf die gerade erst entstehenden „deutschen" Siedlungshäuser und schließt mit einer Prophezeiung der neuen „Kultur, die das Weib dem vom Manne gebotenen Heim verleihen kann".
An dieser Stelle muß, des thematischen Zusammenhangs und der Vollständigkeit halber, die namhafte Autorin Luise Rinser herangezogen werden. Sie war in ihren beruflichen Anfangsjahren in der Rosenheimer Gegend als Lehrerin tätig und ist damals auch schon als Schriftstellerin hervorgetreten. Vor allem das Gedicht „Junge Generation", das sie in der Zeitschrift „Herdfeuer" veröffentlichte, wird in einer bis heute immer wieder aufflackernden Diskussion46) über ihre Haltung während der NS-Zeit bemüht.
Da gibt es Agathe Bachmann,47) die wertvollste Hilfe auch zur wissenschaftlichen Erschließung der Zeit in dokumentarisch und sprachlich überzeugender Weise leistete, in gleichwertiger Nachfolge einer Franziska Hager, der großen Chiemgaudichterin.48) Auf ihre Beziehung zu dieser Autorin eines Tages von mir befragt, antwortete Agathe Bachmann spontan: „Die haben wir damals inhaliert!" Gemeint war die Zeit der Jahre 1937 bis 1939, als solche literarischen Querverbindungen für die Wissenden selbstverständlich auch ein Qualitätsnachweis waren.
Überwiegend der heiteren Poesie gewidmet sind die mundartlich noch „dokumententreuen" G'schicht'n, Verse, Strophen, G'sangl und Landler der Afra Schulz aus Kiefersfelden.49) Auch Lena Christs Stimme bleibt präsent, wird sogar in mehreren Neuausgaben durch ihren Mentor und künstlerischem Testamentserfüller Peter Benedix noch stärker vernehmbar.
Andererseits tradiert Hulda Hofmiller von Rosenheim aus das Werk ihres Mannes, wenn auch jedesmal mit irritierenden Nachwortbemerkungen ausgestattet.50) Gegen Kriegsende betritt dann bereits Gustl Laxganger51) auf dem Umweg über München die literarische Szene, besonders aktuell faßbar in Prosaskizzen wie der vom „Kleinstadtmarkt" (1944), als dessen Vorbild der Einheimische schnell den Ludwigsplatz erkennt. - Auf eine beträchtliche Anzahl gehobener Unterhaltungsschriftstellerinnen sei hier nur der Vollständigkeit halber hingewiesen.
Unter den verbleibenden Männern der schreibenden Zunft muß der lupenreine NS-Journalist Hans Birling neben Ferdinand Josef Holzer, der mythenbildenden Erzählergestalt aus Flintsbach, festgehalten werden. Seine Veröffentlichungen bestimmten damals mit Nachdruck den Geist der Zeit. Die geschickten Umfunktionierungen des Sagenmaterials der Inntallandschaft, vor allem sein Versuch, aus den wichtigsten zeitgeschichtlichen Ereignissen gewissermaßen neues Sagengut zu formen, stellt ein erregendes Kapitel der „Indienststellung" der Literatur dieser Region dar.
Eine Überraschung ist das frühe Auftauchen Georg UnterbuchNers52) in der Rosenheimer Beilage „Der Sonntag".53) Neben dem stillen Peter Benedix, der 1941 in der Nachfolge des großen Künstlerromans „Mathias Bichler" seiner Dichter- und Lebensgefährtin Lena Christ den chiemgauvertrauten Schaustellerroman „Auf der Landstraße"54) vorlegte, ist seine Lyrik von Anfang an auf den innigen Ton eines bairischen Völksdichters eingeschworen, so daß die Sogwirkung der dreißiger Jahre seine unprätentiösen Lieder fast nur wie eine gehauchte Schwingung zu erreichen scheint.55) Unwillkürlich denkt man an den späten Vertreter einer keltischen Grundbevölkerung, die sich durch keine Besatzungsmacht der Welt bisher ganz und gar von den sprachlich aufbewahrten Geheimnissen ihrer Eigenart abbringen ließ.
In einem für die NS-Zeit bemerkenswerten Rollentausch der Geschlechter blieb der lyrische Mystiker aus dem Chiemgau als Gegenentwurf zum todverbreitenden „Meldegänger" vom Obersalzberg in seinem ländlichen Schneckenhaus, während die weibliche Komplementärgestalt aus Rosenheim, die selbst oft genug Häuslich-und Mütterlichkeit der deutschen Frau gefordert hatte, voll im propagandistischen Rampenlicht stand. In der Zusammenschau der beiden Erscheinungsbilder läßt sich eine Zweierverbindung der dichterischen Kräfte imaginieren, die glaubwürdig, weil fern jeder ideologischen Verirrung, verkörpert hätte, was die tatsächliche Substanz der Menschen und ihrer Kultur in der südostbayerischen Region auch damals noch ausgemacht hat.

Hans Ziegler

Anmerkungen:

1) MEHRING, Walter: Wir müssen weiter. Fragmente aus dem Exil. Berlin 1979.
2) Vgl. ZIEGLER, Hans: Rosenheim - bei Ludwig Thoma ein rares Stichwort. Sonderdruck aus dem Wendelstein-Kalender. Rosenheim 1979, S. 3.
3) Zu Hermann Göring in der Literatur: Siehe Literatursammlung Ziegler (= LSZ). Zu Untersuchungen über Rosenheim und die Literatur der Region 18: Siehe ZIEGLER, Hans, PFIRSTINGER, Rico, SCHÖN, Manuela: Vieltausend Texte, Orte und Autoren zwischen München und Salzburg. Ausgewählte Bibliographie der Veröffentlichungen Hans Zieglers zur Literaturgeschichte des Chiemgaus und der Region 18 (Stand: 17. April 1986). Rosenheim und Brannenburg am Inn 1986. Zur Kriegsliteratur 1939 - 1945 im engeren Sinn: Siehe unter anderem die Bücher Josef Martin Bauers. Insgesamt: LSZ.
4) Vgl. beispielsweise HEIMERAN, Ernst, MÜLLER, Guido: Der bequeme Schifahrer. München 1937, S. 74. SCHWERLA, Carl Borro: Wastl in der Wand. Ein Roman von jungen Menschen und alten Bergen. Berlin 1942, S. 222.
5) Geliebtes Oberbayern. Eine Gemeinschaftsarbeit von BÄUML, Michael u.a. Ohne Orts- und Jahresangabe.
6) BERCHTENBREITER, Maria: Vom Chiemsee bis zum Wendelstoa: A Urlaubsland für groß und kloa... Rosenheim o. J.
7) GEIER, Gustav: Grenzland gegen Süden. Das Inntal von Rosenheim bis Kiefersfelden. Bad Aibling 1936.
8) Vgl. etwa MÜNCH-KHE, Willi: Kapitän Romer bezwingt den Atlantik. Geschichte einer kühnen Faltbootfahrt. Bad Godesberg 3. Auflage 1953. Weitere Titel: LSZ.
9) Siehe dazu Verlagsvorwort zu BERCHTENBREITER, Maria: Die stummen Tage. Novelle. In: Velhagen & Klasings Monatshefte 53 (1938/39) Bd. 1, S. 345.
10) HOLZER, Ferdinand Josef: Am Fuße des hohen Madron. Die Geschichte einer deutschen Landschaft. München 1940.
11) SEIDL, Florian: Neubürgen. Ein Kleinstadtroman aus der Gegenwart. München 1939.
12) HEYCK, Hans: Das Welpennest. Ein Buch von Siedlern, Tieren und Kindern. München 1943 (eingesehen: 3. Auflage 1944). Vgl. dazu die Nachkriegsfassung: Pegasus im Paradies. Von den Wonnen des einfachen Lebens. Biberach an der Riß 1952.
13) Veröffentlichungen der Rosenheimer Presse zur Bücherverbrennung 1933: a) Kundgebung der Münchener Studentenschaft. „Für das Deutsche in der Kultur". RA vom 6./7. 5.1933. b) Am Max Josef-Platz werden Bücher verbrannt. Der Tag der deutschen Jugend in Rosenheim. RA vom 8.5. 1933. c) Der Tag der Jugend in Rosenheim. RTW vom 8./9. 5.1933. d) Wider den undeutschen Geist! 20 000 marxistische Schriften werden verbrannt / Kundgebungen in Berlin und München. RTW vom 117 12. 5.1933. e) Scheiterhaufen der Bücher. Die Feuersprüche bei den mitternächtlichen Feiern. RTW vom 12713. 5.1933.
14) RTW vom 8./9. 5.1933.
15) Vgl. StARo, Altregistratur IX A 1 - 327, Stadtbücherei; StARo, Altregistratur VI A 1 - 24, Volksbüchereiwesen; Liste „NS-Bücher im Keller des Archives" sowie „Zeitschriften-Einzelnummern!"
16) Deutsche Föhnhefte (Titel laut Impressum). Gleichbleibender Basissatz auf jeder Titelseite: „Und Ihr habt doch gesiegt!". Erscheinungsort Heft 1-4: München, ab Heft 5: Rosenheim. Keines der bearbeiteten Hefte (1 - 23) trägt ein Erscheinungsdatum, läßt sich jedoch wegen der jahreszeitlichen
Themen in etwa einordnen.
17) DF (= Deutsche Föhnhefte) 1, S. 0.
18) EDSCHMID, Kasimir: Hitlers Haus. In: Ders.: Portraits und Denksteine. München, Wien, Basel 1962, S. 283 - 288.
19) DF 1, S. 17.
20) DF1,S. 18-21.
21) DF 5, S. 149-152.
22) DF 7/8, S. 210, 212.
23) QUIDAM, Ferdinand (d. i. der Verfasser): Winterzeit vor 50 Jahren. Ein südostbayrisches Panorama in Textbildern. - Folgende Texte wurden, mit neuen Überschriften, zusammengestellt: Friedrich Schnack: Petras Gang ins Gebirge / Bernt von Heiseler: Pferdefreund Wastl / Kasimir Edschmid: Chiemgauer Weihnachten 1944 / Maria Berchtenbreiter: Christtage / Otto Rombach: Schneeschuhläufer am Hochfelln. Sämtliche in: Oberbayerisches Volksblatt vom 24./25./26. 12.1988, Verlagsbeilage "Weihnacht 1988".
24) DF 5, S. 152.
25) Stellvertretend für die Literatur zu den genannten Künstlern sei hingewiesen auf: HINDELANG, Eduard (Hrsg.): Karl Caspar 1879 - 1956 zum hundertsten Geburtstag. Langenargen a.B. 1979. SCHUSTER, Peter / Klaus (Hrsg.): „München leuchtete". Karl Caspar und die Erneuerung christlicher Kunst in München um 1900. München o. J. [1984]
26) GEIER, Gustav: Grenzland.
27) LANDGRAF, Artur: Hieselstal. München 1941.
28) Dr. Nicolaus Pronberger (12.1.1883 -25. 2.1966) aus Tattenhausen, zuletzt Direktor an der Bayer. Staatsbibliothek München, veröffentlichte während der NS-Zeit keine Bücher. Beruflich nahm er einen Beförderungsstop von 15 Jahren in Kauf. Pronbergers Erzählung "'s Löschheandl" (Deggendorf o. J. [1956]) stellt einen wertvollen Beitrag zur Rosenheim-Literatur dar.
29) HEISELER, Bernt von: Versöhnung. Gütersloh 1953. Für die während der NS-Zeit angeschlagenen Töne sollen stehen: „Kyffhäuserspiel" (1934) als dramatisches und „Großdeutscher Tag. März 1938" als lyrisches Beispiel (beide in: Ders.: Gedichte / Kleines Theater. München o. J., S. 161 ff und S. 24).
30) CAROSSA, Hans: Ungleiche Welten. Wiesbaden 1951.
31) DF 23, S. 732-736.
32) DF 23. S. 734. 33)DF 23, S.736.
34) Der Sonntag (= So). Wochenbeilage des Rosenheimer und Kolbermoorer Anzeigers 1, 1.1.1935.
35) Ebenda.
36) O. K. (d. i. Otto Kögl): Maria Berchtenbreiter 60 Jahre alt. In: Oberbayerisches Volksblatt vom 8. 8.1960.
37) So 16, 11.4.1936.
38) So 17, 18.4.1936.
39) So 18, 25.4.1936.
40) So 19, 2. 5.1936.
41) Vergleiche dazu als regional besonders ergiebig: SEIBOLD, Karl (Hrsg.): Erzähler der Zeit. München 1939.
42) So 14, 2.4.1938.
43) BERCHTENBREITER, Maria: Das Sumpforgelweib. Verlag Oskar Meister Wer-dau 1941. Vgl. dazu: Unser neuer Roman: M. Berchtenbreiter: "Das Sumpforgelweib". Wie ihn die große deutsche Presse und der Rundfunk beurteilen. RA vom 28. 3.1941.
44) BERCHTENBREITER, Maria: Die Stadt wundert sich über Orlian. Stuttgart 1943. Der einzigen judenfeindlichen Szene in diesem Buch (S. 133 f: Stammtisch lehnt „fremdrassigen" Geschäftskonkurrenten ab) geht eine antijüdisch bemühte „Satire" voraus: Olga Rosenzweig aus Galizien und das
Berchtesgadener Salzbergwerk. So 41, 12. 10. 1940.
45) Schwerpunktthemen der vorstehend aufgeführten Romane sind die neue Natürlichkeit des Lebens; die Bedeutung des Sports für die Körperertüchtigung und das Weltbild; der säkularisierte Kult der deutschen Weihnacht; das Ringen um den Erhalt der Bauernhöfe; die Notwendigkeit des Autobahnbaues u. v. a. m.
46) Siehe zum Beispiel Deutschland-Magazin 5/81. Weiteres Material: LSZ.
47) Materialien zu und Texte von Agathe Bachmann, besonders auch der 1982 erbetene Bericht über „Jüdische Geschäfte in Rosenheim": siehe LSZ.
48) Das grundlegende Schaffen der Franziska Hager hat bis heute keine textgetreue Werkausgabe erfahren. Zu ihren wichtigsten Titeln gehören: Der Dorfschullehrer. München 1923; Der Chiemgau. Ein Bayernbuch den Deutschen. München 1927 (auch unter dem Titel: An der Herdflamme der Heimat. Volk und Landschaft / Brauch und Sitte. München o. J. in einem anderen Verlag); Die Schulmeisterkinder. München 1929.
49) Vgl. die Sammlung: SCHULZ, Afra: Lustiges Oberbayern. Altbayrisches Leben in Versen. Leipzig o. J. - Hierin auch Texte, die in RA-Beilagen des „Sonntag" abgedruckt sind. - Literaturgeschichtlich ergiebig ist das Nachrufgedicht auf ihren Kiefersfel-dener Dichterkollegen: „Ludwig Lintner zum Gedenken!" So 35, 31. 8.1940.
50) Vgl. zum Beispiel HOFMILLER, Josef: Revolutionstagebuch 1918/19. Aus den Tagen der Münchner Revolution. Leipzig o. J. Darin „Nachwort" vom 26.4.1938 (S. 303 ff) mit der Bemerkung zur Okkupation Österreichs:"[...] man wiese ihm die Landkarte Großdeutschlands, was würde er sagen? Viele Worte würde er nicht machen; er würde strahlen, daß seine geliebte Wachau, daß Innsbruck, Salzburg, Kufstein, wo er gerne wanderte, deutsche Gebiete geworden sind, und seine höchste Anerkennung der Gegenwartspolitik würde in dem lakonischen Lieblingssatz bestehen: ,Wer ko, der ko!'" (S. 306). Insgesamt zu Josef Hofmiller (gest. 11.10.1933) und Eduard Stemplinger (1934 im Ruhestand) als Rosenheimer „Dioskurenpaar" der Literatur: LSZ.
51) ZIEGLER, Hans: Zum Beispiel Gustl Laxganger - Rosenheims unverwüstlicher Herold. Erhebungen zur bairischen Literatur. Mainburg 1977, S. 17 bzw. S. 40 (14).
52) Vgl. ZIEGLER, Hans: Vieltausend Texte S. 9 Nr. 23.
53) Vgl. UNTERBUCHNER, Georg: Es schneit und schneit (Gedicht). In: So 4, 23. 1.1937, und spätere Drucknachweise von Lyrik.
Vgl. zusätzlich die beiden Unterbuchner-Titel in: Gedichte des Volkes. Erstes Buch. Dietrich-Eckart-Band. Ausgewählt von H. Böhme. München 1938 (4. Aufl.).
54) BENEDIX, Peter: Auf der Landstraße. Aus dem Leben eines Fahrenden. Wien 1941.
55) Das schließt Georg Unterbuchners rückblickende Klage, wie sie noch in den 70er Jahren von ihm zu hören war, nicht aus, er sei gegenüber einem Polit-Barden wie Heinrich Anacker, was die Möglichkeit der Publizierung von Lyrik betrifft, stets benachteiligt gewesen.