Die „Partei" und ihre Gliederungen nach 1933

Die Parteiorganisation

Nach der Machteroberung setzte ein ungeheurer Zustrom in die NSDAP ein, seit dem 30. Januar bis zur Aufnahmesperre am 1. Mai 1933 traten im ganzen Reich etwa 1,6 Millionen neue Mitglieder bei. Für die Ortsgruppe Rosenheim sind hierzu bislang keine Zahlen greifbar, ebensowenig eine Mitgliederliste. Lediglich ein Verzeichnis Rosenheimer Geschäftsleute, die bis Mai 1933 noch Parteigenossen wurden, spiegelt den starken Andrang der „Märzgefallenen", wie man die neuen Mitglieder im Parteijargon nannte. Von den 111 aufgelisteten Firmeninhabern waren bis 1929 lediglich vier der NSDAP beigetreten, 1930 kamen zwölf hinzu, 1931 und 1932 waren es je sieben. Alle anderen, also 81 Geschäftsleute, wurden erst mit Datum vom 1. Mai 1933 in die NSDAP aufgenommen.1)
Die sogenannte „Parteirevolution von unten" erforderte alsbald eine Neuorganisation der Ortsgruppen, wobei man sich der Einteilung in Zellen und Blocks bediente.
Mit dem System der Blockwarte und Zellenleiter wurden zugleich Überwachungs- und Meldeinstanzen geschaffen, die den allgemeinen Konformitätsdruck verstärkten und die Erfassung jedes einzelnen im totalitären Führerstaat garantieren sollten. Im Juli 1933 gab Ortsgruppenleiter Josef Heliel die neue Einteilung der NSDAP Rosenheim in 6 Zellen und 21 Blocks bekannt und drückte das Ziel dieses Systems deutlich aus: „Die Organisation muß heute dafür Sorge tragen, daß bis in die kleinsten Winkel vorgedrungen wird und überall nur das geschieht, was unser oberster Führer will."2) Im Jahr 1936 waren es dann bereits 12 Zellen und insgesamt 82 Blocks.3)
Statistische Angaben zur Parteimitgliedschaft liegen nur einige wenige im Schriftwechsel der Kreisleitung aus der Mitte der dreißiger Jahre vor. Die Aufnahmesperre für den Eintritt in die NSDAP galt grundsätzlich bis zum 1. Mai 1939, allerdings war der „Seiteneinstieg" als bewährter „Parteianwärter" über Nebenorganisationen seit dem Frühjahr 1937 wieder möglich geworden. Die Kreisleitung umfaßte ab 1936 die Bezirksämter Rosenheim und Aibling. Auf 100119 Einwohner in diesem Gebiet kamen 3102 Parteimitglieder (3,0%), im Stadtbereich von Rosenheim zählte man unter 20371 Bürgern 677 Parteigenossen (3,3%).4) Mit Wirkung vom 1. Januar 1939 wurde die NSDAP Rosenheim in sieben neue Ortsgruppen zerlegt, denn mittlerweile war die Zahl der „Pg.s" im Stadtbereich auf 1906 angewachsen; dies ergibt bei 20576 Einwohnern stattliche 9,2%.5) Im gesamten Gebiet der Kreisleitung Rosenheim waren bis Anfang Februar 1939 von den 99988 Einwohnern 6796 NSDAP-Mitglieder geworden (6,7%).6) Die bislang letzte greifbare statistische Erhebung stammt vom 11. Dezember 1940. Demnach stieg im Kreisgebiet der Anteil der Parteimitglieder auf 7,4%: Man zählte unter 108857 Einwohnern insgesamt 8065 Parteigenossen und Parteianwärter. In der Stadt Rosenheim waren inzwischen genau 10% der Bevölkerung in der NSDAP organisiert (21814 Einwohner, 2198 NSDAP-Mitglieder).7)
Bis zum Dezember 1932 lag die Leitung der Ortsgruppe Rosenheim bei Josef Riggauer, der seit dem 17. Mai 1920 der NSDAP angehörte und die Ortsgruppe Rosenheim ab dem 6. März 1925 durch die „schweren Kampfesjahre" führte.8) Bis zum Auftreten Josef Heliels übernahm die Führung der Ortsgruppe dann Dr. Erich Holper. Der junge Josef Heliel, der 1923 schon mit 17 Jahren der NSDAP und der SA beitrat, erhielt am 30. Mai 1933 den Posten des Ortsgruppenleiters übertragen, ab dem 9. Juni 1934 fungierte er zusätzlich als Kreisleiter und löste damit Josef Stadler, Gründungsmitglied der NSDAP Rosenheim, ab.9) Sein Stellvertreter war Hans Gmelch, der am 1. Dezember 1935 die Führung der Ortsgruppe Rosenheim und am 16. Februar 1938 das Amt des Oberbürgermeisters übernahm und bis 1945 ausübte.10)
Nicht alle Rosenheimer NSDAP-Mitglieder waren mit dieser Führungsriege einverstanden. In einer anonymen Beschwerde an den Stellvertreter des Führers, Rudolf Hess, vom 16. Juni 1936 forderten „mehrere alte Parteigenossen" die Absetzung der „Korruptionsritter und Postenjäger", gemeint waren vor allem Josef Heliel und Dr. Erich Holper, der sich inzwischen als berufsmäßiger Stadtrat etabliert hatte. Da die Bevölkerung alle Achtung verloren habe und das Ansehen der Partei schwer geschädigt sei, forderte man: „[...] deshalb wollen wir unseren Riggauer."11) Nach dem Tod von Josef Heliel, der als Unteroffizier des Rosenheimer Pionierbataillons 7 im Jahr 1940 im Feldzug gegen Frankreich fiel, übernahm Walter Ziehnert, Parteimitglied seit 1926, den Posten des Kreisleiters.12)

Die Gliederungen der NSDAP

Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 wurden die SA- und SS-Verbände zum entscheidenden Instrument der nun folgenden Gleichschaltung der Länder und Behörden. Am 12. und 14. März 1933 ordnete Ernst Röhm als bayerischer Staatskommissar die Einsetzung von SA-Sonderkommissaren auf der Ebene der Regierungsbezirke und Bezirksämter an und übertrug ihnen gleichzeitig die Verfügungsgewalt über die SA-Hilfspolizei ihres Bereichs. Die nominelle „Hilfs"-Funktion war indes meist in das Gegenteil verkehrt, da nicht die Polizeioffiziere, sondern die SA-Führer die Aktionen bestimmten.13) Für das Bezirksamt und die Stadt Rosenheim übernahm Dr. Erich Holper die Rolle des SA-Sonderkommissars. Bereits am 12. März führte er den ersten Schlag gegen die SPD durch und ließ das Vereinslokal des Reichsbanners und der Eisernen Front, den Pernlohner Keller, durchsuchen.14) Anstelle einer Abteilung Landespolizei, die Bürgermeister Knorr noch am 30. Januar 1933 beim Innenministerium angefordert hatte, um die öffentliche Sicherheit in Rosenheim aufrecht erhalten zu können, wurde die Schutzmannschaft Rosenheim ab Mitte März durch elf „Hilfspolizisten" verstärkt, die durchweg Mitglieder der SA, SS oder des Stahlhelms waren.15) Im Vordergrund der Aktionen stand der Kampf gegen die SPD und die Auflösung der Arbeitervereine.16)
Die Institution des SA-Sonderkommissars bzw. -Sonderbeauftragten wurde erst nach dem 30. Juni 1934 im Zuge der Entmachtung der SA abgeschafft.
Mit der Ermordung vieler höherer SA-Führer und zahlreicher konservativer Gegner durch Gestapo und SS zwischen dem 30. Juni und 2. Juli 1934 ebnete sich Hitler den Weg zur Führerdiktatur. Von der sogenannten „Röhm-Revolte" waren auch SA-Führer aus dem Rosenheimer Raum betroffen. Kreisleiter Heliel berichtete telefonisch am 2. Juli 1934 an die Münchner Gauleitung: „Glänzende Stimmung. Sturmbannführer und Sonderkommissar Meder [Aibling] verhaftet. Sonst nichts von Bedeutung. Alles in Ruhe. Über die Verhaftung Meders herrscht in der SA die allergrößte Freude."17) Das stimmte so freilich überhaupt nicht. Unter den SA-Führern und auch unter den Politischen Leitern gab es gegenteilige Meinungen, die vom kommissarischen Kreisleiter Aibling, Mühlbauer, und von Obertruppführer Karl Unglaub sofort an die Münchner Gauleitung der NSDAP gemeldet wurden.18) Die Denunziationen betrafen unter anderem Obersturmbannführer Cramer, der den Führer der Ortsgruppe Schloßberg, Michael Lang, aufgefordert hatte, aus Pietät für die erschossenen SA-Führer die Gedenkfeier der Ortsgruppengründung nicht abzuhalten.19) Aus den Berichten geht auch hervor, daß einige SA-Führer noch rechtzeitig gewarnt wurden und so dem sicheren Tod entgingen: „Am Samstag den 30. Juni 1934 fand in Rosenheim eine Sturmführerbesprechung des Sturmbanns I/4 statt. Zu Beginn der Besprechung um 16 Uhr erschien plötzlich Brigadeführer Kraft, Traunstein und teilte uns die Verhaftung Röhms, Schneidhubers und Schmids sowie der anderen Führer mit. Zu Beginn seiner Mit-teilung bemerkte Brigadeführer Kraft, daß er am Samstag Morgen von ihm nicht bekannten Stellen 2 mal angerufen wurde nach München zu kommen. Dann wurde er wieder angerufen nicht nach München zu kommen, da er sonst verhaftet würde."20) Auch SA-Oberführer und Brigadearzt Dr. Ernst Klein hätte, seinen eigenen Aussagen zufolge, am 30. Juni 1934 nach Bad Wiessee fahren sollen, wurde aber ebenfalls noch telefonisch davor gewarnt.21)
Bezeichnend für die Vorherrschaft der NSDAP nach dem 30. Juni 1934 sind auch die politischen Beurteilungen sämtlicher SA-Führer, die von der NSDAP-Gauleitung München-Oberbayern im August und September 1934 von den Kreisleitern eingeholt wurden. Dem Führer der SA-Brigade 84, Kraft, stellten dabei fast alle Kreisleiter ein ungünstiges Zeugnis aus, so zum Beispiel auch Josef Heliel: „Kraft stand vor dem 30. Juni sehr scharf gegen die Partei. Auf jeden Fall lehnte er jede nähere Verbindung mit der politischen Organisation ab. [...] Nach der Röhm-Revolte ist Kraft ruhig und tritt nicht mehr besonders hervor."22) Die Führung der Brigade 84 - Chiemgau - wurde wenig später Josef Malzer übertragen, dem zuvor die Brigade 85 -Oberbayern -, unterstanden hatte.
Ab dem 20. Juli 1934 wurde die SS, die zuvor noch der SA angegliedert war, eigenständig. Eine SS-Standarte gab es in Rosenheim seit Herbst 1932.23)Herausragendes Ereignis für die Rosenheimer Formation war die Besichtigung der Sturmbanne I und II der 34. SS-Standarte durch den Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, am 26. Januar 1935 auf der Gabrielwiese an der Jahnstraße.24)
Bereits am 17. Juni 1933 war Baldur von Schirach von Hitler zum „Jugendführer des Deutschen Reiches" ernannt worden, die HJ blieb aber zunächst in der Partei verankert. Erst nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und der Arbeitsdienstpflicht 1935 wurde die HJ zur Staatsjugend umgebildet. Mit dem Gesetz vom 1. Dezember 1936 wurde die HJ zur Pflichtorganisation für die gesamte männliche und weibliche Jugend zwischen dem 10. und 18. Lebensjahr, die Führung oblag einer selbständigen Obersten Reichsbehörde.25)
Noch bevor die Mitgliedschaft zur Pflicht wurde, hatte vor allem die HJ in Rosenheim bereits eine ansehnliche Stärke erreicht.26) Die Aktivitäten reichten von Werbefahrten, Aufmärschen, sogenannten Bannlagern und Fahrten zum Reichsparteitag (beispielsweise 1933)27) bis hin zum militanten Auftreten: Zusammen mit SA-Männern störten Angehörige der HJ im Mai 1935 eine Caritas-Sammlung derart, daß sie abgebrochen werden mußte, obwohl sie vom Reichsinnenminister ausdrücklich genehmigt worden war. Derartige Ausschreitungen wurden ansonsten nur noch aus München und Dachau bekannt. In Rosenheim tat sich die HJ vor allem durch Sprechchöre hervor, einige SA-Mitglieder rissen den Leuten die bei der Sammlung verteilten Caritas-Abzeichen herunter und verbrannten obendrein die Caritas-Werbeschriften.28)
Als Sondereinheit der SA war 1930 unter anderem eine Motor-SA errichtet worden, daneben gab es ein NS-Kraftfahrer-Korps (NSKK), das zunächst eine Art Reserve der Motor-SA bildete. Nach der Röhm-Affäre 1934 wurden die Motorstürme aus der SA herausgelöst und mit dem NSKK zu einem selbständigen Verband der NSDAP vereinigt.29) Die NSKK-Mitglieder fuhren nicht nur, wie gerne behauptet wird, mit Lastwägen und Motorrädern in der Gegend spazieren, sie hatten auch parteispezifische Aufgaben zu erfüllen, so etwa die Absperrung der Ausfallstraßen anläßlich der „Volksabstimmung" am 10. April 1938. „Auf jeden Fall darf kein Volksgenosse das Gaugebiet verlassen, der nicht seiner Wahlpflicht Genüge geleistet hat", lautete der Befehl der Gauleitung.30)

Peter Miesbeck

Anmerkungen:

1) StAM, NSDAP 562.
2) RA vom 19. 7.1933.
3) StAM, NSDAP 244.
4) Ebenda.
5) StAM, NSDAP 244. Ohne die Stadtrandgemeinden Happing, Aising, Pang, Westerndorf St. Peter und Langenpfunzen.
6) StAM, NSDAP 244.
7) StARo, Benutzerakt Nationalsozialismus I.
8) RTW vom 29. 6.1936.
9) RTW vom 30.6.1936. StAM, NSDAP 244.
10) RTW vom 29.6.1936. StARo, Benutzerrakt Nationalsozialismus I.
11) StAM, NSDAP 244.
12) StARo, Benutzerakt Nationalsozialismus!.
13) Vgl. BROSZAT, Martin: Der Staat Hitlers. München 1983, 10. Aufl., S. 246 - 249.
14) StAM, LRA 55411. Vgl. den Beitrag „Die nationalsozialistische Machteroberung".
15) StARo, Altregistratur VI A 2 - 97.
16) Vgl. hierzu den Beitrag „Die Auflösung von Gewerkschaften und Arbeitervereinen".
17) StAM, NSDAP 53.
18) Ebenda.
19) Ebenda.
20) Ebenda.
21) Amtsgericht Rosenheim, Protokoll der öffentlichen Sitzung der Spruchkammer Rosenheim Stadt vom 26.11.1947, Aktenzeichen K 48/47, S. 5.
22) StAM, NSDAP 53.
23) RTW vom 10./11. 8.1935 und RA vom 9.8.1935.
24) RTW vom 28.1.1935.
25) Vgl. BROSZAT, Der Staat Hitlers, S. 334-336.
26) Hinsichtlich der Mitgliederzahlen siehe den Beitrag „Entwicklungen im Schulwesen".
27) RTW vom 9. 8.1935 und RA vom 10./ 11.8.1935.
28) StAM, NSDAP 550.
29) BROSZAT, Der Staat Hitlers, S. 58.
30) StAM, NSDAP 538.