Die Entwicklung der Rosenheimer NSDAP in der „Kampfzeit" 1920 - 1933

Die erste Ortsgruppe der NSDAP außerhalb Münchens

Schon am 18. April 1920 gelang es dem Reichsbahnbeamten Theodor Lauböck1), zusammen mit Anton Drexler eine Rosenheimer Ortsgruppe der NSDAP zu gründen.2) Am 2. Mai 1920 fand die erste öffentliche Versammlung statt, in der ein „Herr Hittler [!] aus München"3) vor allem antisemitische Propaganda betrieb und mit seinen Theorien über das internationale Kapital, das die nationale Wirtschaft zerstöre, regen Zuspruch fand. Hitler trat 1920 mindestens noch viermal öffentlich in Rosenheim auf, die Veranstaltungen waren jedesmal gut besucht und brachten zahlreiche Neuzugänge:4) Die Ortsgruppe wuchs bis zum September 1920 rasch auf 220 Mitglieder an, am Ende des Jahres waren es über 260. Die Werbeveranstaltungen in den folgenden Jahren brachten dann allerdings kaum weitere Beitritte, im August 1922 zählte man 320 Parteimitglieder - dennoch war Rosenheim immer noch die zweitstärkste Ortsgruppe nach München.5) Die Berufsangaben in der Original-Mitgliederliste beweisen, daß die NSDAP in Rosenheim keine Partei der Arbeiter, wohl aber des sogenannten Mittelstandes war. Ihr gehörten 19,6% der leitenden Angestellten Rosenheims, 10% aller freiberuflichen Akademiker, 11% der Handwerksmeister und 11% der ortsansässigen Kaufleute an.6) Der erste Ortsgruppenführer bis November 1923 war Werkmeister Anton Dorsch.7) Zur Ortsgruppe gehörte schon 1920 auch eine Ordnertruppe, die Ende August 1921 zur Sturmabteilung (SA) unter der Führung von Josef Maier und Ignaz Dirschl wurde. Die Rosenheimer SA hatte in den Anfangsjahren der „Bewegung" auch an zahlreichen Saalschlachten in München teilgenommen. Darüber hinaus war Rosenheim auch ein Sammelpunkt jener antirepublikanischen Kräfte der oberbayerischen Provinz, die gewillt waren, im November 1923 für Hitler nach München oder gar nach Berlin zu marschieren. Auch in Rosenheim selbst wurden angeblich am 9. November 1923 die „Inn-und Mangfallbrücken sowie der Bahnhof und das Postamt besetzt und auf weiteren Befehl gewartet."8) Mit dem Verbot von NSDAP und SA nach dem Putschversuch legte sich ein Teil der sogenannten „alten Kämpfer" bis 1925 das Prädikat „unpolitisch" zu: Sie traten im Herbst 1924 für die Gemeindewahlperiode 1925/1929 in der „Unpolitischen Bürgerüste" an.9) Auf diese Weise gelangte Dr. Ernst Klein10) als erster Nationalsozialist in den Rosenheimer Stadtrat, die SA schlüpfte unter seiner Führung beim „Bund Chiemgau" unter.11) Insgesamt scheint die NSDAP in Rosenheim nach dem 9. November 1923 zumindest von ihrer Mitgliederzahl her einen erheblichen Rückschlag erhalten zu haben. Das Auftreten von getarnten nationalsozialistischen Stadträten noch vor der Wiederzulassung der Partei im Februar 1925 zeigt jedoch, daß der „harte Kern" der Nationalsozialisten weiterhin tätig war.

Die Aufbauphase 1920 - 1933

In Rosenheim, dieser provinziellen Hochburg der völkisch-nationalsozialistischen Bewegung, hatte sich nach der erniedrigenden Schlappe des Novemberputsches und dem anschließenden Verbot von Partei und SA bis zur Neugründung am 26. Februar 1925 schon am 6. März des gleichen Jahres erneut eine Ortsgruppe der NSDAP etabliert.12) Die Begeisterung für den Nationalsozialismus war jedoch merklich abgekühlt: Bei der Landtagswahl am 6. April 1924 hatte der Völkische Block im Stadtgebiet noch 1955 Stimmen (22,9%) erhalten, bei der Reichstagswahl vom 7. Dezember 1924 waren es nur noch 545 (6,3%).13) Entsprechend klein war das Häuflein der Aktivisten, die nun unter der Leitung des mittelständischen Möbelfabrikanten Josef Riggauer erneut begannen, für ihre Ideen zu werben. Mit einer Versammlung am 25. Juli 1925, zu der auch der Nürnberger Gauleiter Julius Streicher und Hitler selbst angereist waren und eine Münchner SA-Formation der Rosenheimer Bevölkerung erstmals ihre neuen braunen Uniformen präsentierte, trat die rund fünfzig Köpfe zählende Ortsgruppe wieder an die Öffentlichkeit. Wie vor dem gescheiterten Putsch setzte, von München aus gesteuert, eine rege Propagandatätigkeit ein. Allein der Parteireferent Hans Dauser reiste in den Jahren 1926 und 1927 einunddreißigmal aus der Landeshauptstadt an, um die regelmäßigen Vortragsabende des Parteistützpunkts zu bestreiten.
Der Zuständigkeitsbereich der Ortsgruppe umfaßte die Bezirksämter Rosenheim, Aibling, Wasserburg und Ebersberg, ein Gebiet, das wegen der geringen Mitgliederzahl kaum flächendeckend bearbeitet werden konnte. Deshalb war die NSDAP in erster Linie bestrebt, weitere Stützpunkte zu errichten. Um bei Werbeveranstaltungen wenigstens einigermaßen eindrucksvoll aufzutreten, mußten regelmäßig die Sympathisanten des gesamten Bezirks und oft zusätzlich Münchner Nazis zusammengekarrt werden, um die Lokale zu füllen und den Eindruck eines großen Andrangs zu erregen. Auf diese Weise glückte am 15. Mai 1926 die Gründung einer Ortsgruppe Bad Aibling, zu der sich am 21. Juni
1928 ein Stützpunkt in Flintsbach gesellte.14) Diese Aktivitäten konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Interesse der Bevölkerung an der „Hitlerbewegung" nach wie vor ein äußerst geringes war. Mit 553 Stimmen (6,0%) bei der Reichstagswahl und 455 Wählern (5,0%) bei der Landtagswahl des Jahres 192815)blieb die NSDAP im Parteizentrum Rosenheim-Stadt noch unter dem schlechtesten Ergebnis von 1924.
Der einsetzende wirtschaftliche Niedergang, der erstmals im „Notwinter" 1928/29 für die breite Öffentlichkeit spürbar wurde, spornte die NSDAP zu neuen Anstrengungen an, hatte sich doch am Beispiel der Inflationsjahre gezeigt, daß die Chancen der Partei in Zeiten wirtschaftlicher Krisensituationen stiegen. Wie wichtig der NSDAP in ihrem Bemühen, nun auch die Provinzgebiete besser organisatorisch zu erfassen, wie schon in den Anfangsjahren der „Bewegung" auch jetzt noch die Stadt Rosenheim erschien, unterstreicht ihre Wahl, hier ihren ersten oberbayerischen Gautag abzuhalten, der zunächst für Anfang Mai 1929 geplant war,16) dann aber erst am 31. August / 1. September 1929 stattfand. Das Programm umfaßte neben Auftritten des Gauleiters Fritz Reinhardt und des Reichstagsabgeordneten Dr. Frick Standkonzerte der SA-Kapelle München, einen „Deutschen Abend", Vorführungen der Hitlerjugend, eine Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal sowie uniformierte Aufmärsche von SA-Verbänden.
Die Bevölkerung zeigte jedoch insgesamt wenig Interesse. Auch wurden statt des vorhergesagten Aufmarsches von 1500 uniformierten auswärtigen Parteigenossen nicht mehr als 600, darunter sehr viele Norddeutsche, gezählt. Die Kommunisten, welche die Münchnerstraße mit „Tod dem Faschismus" bemalt und am Ortseingang ein Transparent mit der Aufschrift „Nieder mit den Hitlerbanditen und Arbeitermördern" über die Fahrbahn gespannt hatten, hielten sich angesichts des ungleichen Kräfteverhältnisses zurück. Zwar drang ein Trupp Nationalsozialisten ins Gewerkschaftshaus ein und versuchte dort, eine Schlägerei zu provozieren, doch wurden die Unruhestifter noch rechtzeitig von Angehörigen der SS entfernt.17)

Parteipropaganda und ihre Finanzierung

Aus 34 Versammlungsberichten, in denen die wachhabenden Kriminalbeamten die Zahl der Besucher bei NSDAP-Veranstaltungen in Rosenheim vom 22. Februar 1930 bis zum 1. März 1933 vermerkten, geht hervor, daß die Sprechabende und öffentlichen Versammlungen durchschnittlich 500 Personen anzogen,18) ein Ergebnis, von dem andere politische Gruppen nur träumen konnten.
Alles in den Schatten stellten aber Kundgebungen, bei denen der charismatische „Führer" selbst sich Parteivolk und Schaulustigen präsentierte. Da die Säle Rosenheims nach Einschätzung der Ortsgruppe zu klein waren, um den erwarteten Andrang bei Hitlers Auftritt am 17. April 1932 aufnehmen zu können, beantragte sie beim Stadtrat, ein Zelt mit einem Fassungsvermögen von 6000 Personen errichten zu dürfen. Kaum hatte das Stadtparlament seine Zustimmung erteilt, begannen 50 SA-Leute mit dem Aufbau, doch widersetzte sich das Innenministerium wegen der zu hohen Kosten für mindestens zwei Hundertschaften Landespolizei den Plänen. Das halbfertige Zelt mußte wieder abgebaut werden.19) Als Ersatz mietete die Partei den größten Saal der Stadt, den des Hotels „Deutscher Kaiser". Eine zweite Versammlung im nahen Schloßberg sollte die restlichen Interessenten aufnehmen. Beide Säle waren trotz stolzer Eintrittspreise von bis zu 2 RM überfüllt. Allein in Rosenheim lauschten 2000 Besucher den nur halbstündigen Ausführungen Hitlers, in Schloßberg waren es 1150.20) Die Straßen vor dem Rosenheimer Versammlungslokal waren hoffnungslos verstopft, drei Propagandaflugzeuge kreisten über der Stadt, Tausende von Menschen, die keinen Einlaß gefunden hatten, drängten sich, um wenigstens einen Blick auf den „Führer" zu werfen und seine über Lautsprecher nach außen übertragene Rede zu hören.21)
Die nationalsozialistische Propaganda mit ihrer Vielzahl von Veranstaltungen, die meist mit hauptberuflichen Parteireferenten beschickt wurden, sowie Handzettel, Broschüren und LKW-Werbefahrten der SA-Abteilungen verschlangen enorme Mittel, die aufgrund der angespannten Wirtschaftslage oft schwer zu beschaffen waren, zumal großzügige Gönner in der altbayerischen Provinz dünn gesät waren. Besonders wichtig war es deshalb, von der Gauleitung zugkräftige Referenten zugeteilt zu bekommen, die neben dem politischen Erfolg auch entsprechende Einnahmen garantierten.22) Daher war ein Auftreten Hitlers oberstes Ziel, wie das Beispiel der Ortsgruppe Schloßberg, die am 3. Juli 1929 gegründet worden war, zeigt.23) Für den spektakulären Auftritt Hitlers am 17. April 1932 wurden 1150 Eintrittskarten verkauft, den Einnahmen von 1075 RM standen Unkosten von 428 RM gegenüber.24) Der Gewinn reichte aus, um wieder eine Reihe defizitärer Kundgebungen zu finanzieren. Dennoch wäre der Aufwand der Schloßberger NSDAP ohne die Rückendeckung durch die Industriewerke Hamberger, deren Besitzer sich aber selbst bis 1933 parteipolitisch im Hintergrund hielten, kaum möglich gewesen. Bereits nach dem gescheiterten Hitlerputsch hatten die Ziegelberger Zündholz-, Ton- und Holzwarenfabrikanten SA-Männer aufgenommen, die bei Rosenheimer Firmen aus politischen Gründen ihre Stellung verloren hatten. Bei ihrer Gründung am 3. Juli 1929 setzte sich die Ortsgruppe unter Führung des Buchhalters und Gemeinderats Michael Lang, der gegenüber den Gewerkschaften als Sprachrohr der Firmenleitung auftrat, schließlich ausnahmslos aus Betriebsangehörigen zusammen.25) Die Gebrüder Hamberger unterstützten die Nationalsozialisten finanziell und bürotechnisch und stellten Kraftfahrzeuge zu Propagandafahrten zur Verfügung.26) Die Schloßberger SA rüsteten die Industriellen 1931 mit Waffen aus, die wohl seit Einwohnerwehrzeiten auf dem Werksgelände versteckt waren,27) so daß die Firmenleitung neben der in direkter Abhängigkeit stehenden Parteigruppe auch über einen bewaffneten Schutzverband verfügen konnte.28)
Diese gezielte Förderung der NSDAP durch einen Industriebetrieb war jedoch die Ausnahme. Zwar war der Brannenburger Hans Cramer neben seiner hauptberuflichen Position als leitender Angestellter des Steinbeis-Konzerns zugleich einer der meistbeschäftigten nationalsozialistischen Agitatoren im Mangfall-, Inn- und Chiemgau,29) auch rekrutierte sich die Kie-fersfeldener Ortsgruppe hauptsächlich aus Arbeitern der Zementfabrik;30) mehr als wohlwollende Duldung durch die Firmenleitungen läßt sich hier jedoch nicht feststellen. Öfter waren es mittelständische Gewerbetreibende, die, wie zum Beispiel ein Rosenheimer Milchhändler, der NSDAP Fahrzeuge zur Verfügung stellten31) oder ihr im bescheidenen Rahmen mit anderen Sachzuwendungen unter die Arme griffen.

Die Gliederungen der NSDAP

Die SA, die wichtigste Untergliederung der NSDAP, war, wie die Partei selbst, nach dem Münchner Putschversuch verboten worden, doch war es dem Rosenheimer Verband unter der Führung von Dr. Ernst Klein gelungen, beim „Bund Chiemgau" als geschlossener Zug unterzuschlüpfen.32) Dennoch konnte sich die Partei bei ihrer Reaktivierung 1925 auch hier auf keine funktionierende Wehrformation stützen. Hatte allein die SA Rosenheim-Stadt im Spätsommer 1923 noch 70 aktive Mitglieder gezählt, so waren es Anfang 1928 im gesamten Gebiet, das die NSDAP-Ortsgruppe zu betreuen hatte, nur noch 20 Mann. Mit wachsendem Zulauf in die Partei konnte aber auch ihre Schutztruppe neue Mitglieder gewinnen. Noch im Jahr 1928 gelang es, in Flintsbach und Brannenburg sowie in Bad Aibling neue SA-Trupps aufzustellen.33) Nach einer 1930 angelegten, mehrfach ergänzten Tabelle, die wohl den Stand des Jahres 1931 wiedergibt, war die Kolbermoorer Formation mit 38 SA-Männern die größte des gesamten Standartengebiets, doch konnte auch Flintsbach einen anschlichen Verband von 28 Mann aufweisen. Die Zahl der 29 SA-Männer in Rosenheim fiel dagegen vergleichsweise gering aus. Die Trupps in Kiefersfelden und Pang zählten je zehn, in Schloßberg neun Mann. Eine SA-Reserve, im April 1931 vom späteren Rosenheimer Oberbürgermeister Georg Zahler gegründet, wuchs daneben schon nach kurzer Zeit auf 45 Mann an und leistete wertvolle Dienste bei Propagandaaktionen und organisatorischen Arbeiten. Ein SA-Motorsturm unter der Leitung des Kolbermoorer Schreinermeisters Hans Keller faßte bis Mai 1931 die verstreuten motorisierten SA-Einheiten zusammen, so daß der Partei eine zwar zahlenmäßig zunächst noch vergleichsweise kleine, aber gut organisierte Hilfstruppe zur Verfügung stand.34)
Die Rosenheimer SS wurde Ende Oktober / Anfang November 1932 gegründet und trat, etwa 15 - 20 Mann stark, erstmals bei einem verbotswidrigen Aufmarsch anläßlich der „Totenehrung" am 9. November 1932 in Erscheinung.35)
Verbot, Haussuchungen und Beschlagnahmen waren die Reaktion auf Putschpläne, die im Falle der Wahl Hitlers zum Reichspräsidenten im März 1932 gedroht hatten. Allen SA-Posten war der Sturmbefehl vom 3. März 1932 zugegangen, daß sämtliche verfügbaren Einheiten am Wahltag in Alarmbereitschaft zu stehen hätten. Wie die Amtliche Bayerische Pressestelle meldete, hatten die lokalen Parteiverbände in der Hoffnung auf den Umsturz bereits die Verwaltungsposten unter ihren Mitgliedern aufgeteilt. Als Rosenheimer Bezirksamtsvorstand war den Berichten zufolge der Niedernbur-ger Gutsbesitzer Hans Maul vorgesehen, den Bürgermeister der Stadt sollte Stadtrat Dr. Ernst Klein ablösen.36)
Die Betroffenen bestritten energisch jede Postenjägerei,37) doch war damit der Verdacht des Umsturzversuchs nicht aus der Welt geräumt, zu auffällig waren die hektischen Versuche der SA seit dem Herbst 1931 gewesen, sich Waffen zu besorgen. Begünstigt wurden sie dabei von der bayerischen Justiz, die Waffenvergehen der Linken als Hochverrat, die der extremen Rechten dagegen als Kavaliersdelikt ansah.
Am 13. Oktober 1931 waren zwei Rosenheimer SA-Männer in die Obstlagerhalle Feilnbach eingedrungen und hatten zwei Maschinengewehre mit Zubehör sowie zehn Infanteriegewehre entwendet und sie nahe der Stadt bei Gesinnungsgenossen deponiert. Den Vorfall, der denselben Tatbestand wie ein 1930 begangener Waffendieb-stahl Rosenheimer und Wasserburger Kommunisten erfüllte, die dafür vom Reichsgericht Leipzig zu ein-bis dreijährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren,38) bewerteten die Justizbehörden in diesem Fall nicht als Hochverratsversuch. Als sich die Angeklagten vor dem Rosenheimer Schöffengericht am 12. Januar 1932 verantworten mußten, brachte Rädelsführer Ludwig Kuchler vor, man habe im staatlichen Interesse gehandelt, da man allein bestrebt gewesen sei, die Waffen vor Kommunisten in Sicherheit zu bringen. Das Gericht schloß sich dieser Argumentation an, erkannte als mildernd, daß die Tat aus parteipolitischer, nicht krimineller Überzeugung begangen worden sei, und verurteilte die beiden Hauptangeklagten zu je drei Monaten Freiheitsentzug mit Bewährung. Einer ihrer Helfer erhielt eine Geldstrafe von 50 RM, der zweite wurde freigesprochen.39) Bei der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Traunstein wurde Kuchlers Gefängnisstrafe um einen Monat reduziert, die beiden übrigen Verurteilten kamen mit Geldbußen davon.40) Kuchler war jedoch im Zusammenhang mit einer neuerlichen Waffenaffäre inzwischen wieder festgenommen worden. Am 12. März 1932, dem Tag vor dem ersten Durchgang der Reichspräsidentenwahl, hatte laut Presseberichten ein Parteigenosse, wohl Kuchler, ein MG, drei Gewehre und eine Menge Leuchtpistolen und Munition in das von Dr. Metzger, Parteigenosse und später kurz zweiter Bürgermeister, gepachtete „Hausstätter Gütl" verbracht, wo sie die Polizei sicherstellte.41) Noch in der Nacht des Wahltages hoben die Sicherheitsorgane die 30 bis 40 Mann starke Alarmbereitschaft von SA und NSDAP aus und beschlagnahmten mehrere Waffen.42)
Angesichts der offenkundigen Bedrohung der Staatsautorität und einer Serie tätlicher Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten, Reichsbannerleuten und Nationalsozialisten im Stadtgebiet und in den Industriegemeinden der Umgebung sahen sich die Behörden nun gezwungen, ihren nachsichtigen Kurs gegen die NSDAP einzustellen. Hausdurchsuchungen und Waffenbeschlagnahmen richteten sich jetzt gegen einzelne Verbände wie den der besonders aktiven Schloß-berger Ortsgruppe.43) Die aufsehenerregende Entwaffnungsaktion gegen den Chiemgau-Bund am 18. März 1932 sollte den Nachschub unterbinden, da ständig Waffenlager der Heimatschutzorganisation an SA und NSDAP ausgeliefert oder von diesen entwendet wurden.44) Das Verbot der nationalsozialistischen Kampfverbände von April bis Juni 1932 dämpfte darüberhinaus ihre Aktivitäten, bis sich die angespannte politische Lage des Frühjahrs 1932 etwas entschärft hatte.
Von wesentlich geringerer Bedeutung als die militanten „Schutztruppen" der Partei waren vor 1933 Unterabteilungen der NSDAP, die zum Ziele hatten, bestimmte Bevölkerungssegmente oder Berufsgruppen zu gewinnen. Am 27. März 1929 war in Rosenheim die Ortsgruppe der Hitlerjugend wiedergegründet worden.45) Am 26. November 1930 folgte eine Frauen- und Mädchengruppe mit rund 20 Mitgliedern, meist Frauen und Töchter von Parteigenossen, von der sich im April 1932 eine BdM-Abteilung mit 10 Mädchen abtrennte. Auch die Betriebszellenorganisation (NSBO), Mittelstands-, Bauern- und Kriegsgeschädigtenverbände der NSDAP, die in der Provinz meist erst im Jahr 1932 von den größeren Ortsgruppen aus Fuß faßten,46) waren auf lokaler Ebene nur einflußlose Parteianhängsel, die den jeweiligen Standesangehörigen suggerieren sollten, daß gerade ihre Berufs- oder Interessengruppe auf eine eigene, im Parteiapparat verwurzelte Lobby zählen könne. Ihr Aufschwung zu Massenorganisationen mit dem Ziel, standesegoistische Aktivitäten zu kontrollieren und im Sinne der politischen Führung zu kanalisieren, erfolgte erst nach der nationalsozialistischen Machtübernahme.

Peter Miesbeck / Wolfgang Stäbler

Anmerkungen:

1) Theodor Lauböck, geb. 20.12.1874, war Regierungsrat in der Bauinspektion der Reichsbahnstation Rosenheim. Er wurde 1922 nach München versetzt und lebte später in Tegernsee. In den Sonderbeilagen zum 15jährigen Ortsgruppenjubiläum (RA vom 9. 8.1935 und RTW vom 10./11. 8.1935) wird ihm die Initiative für die Gründung der NSDAP Rosenheim zugesprochen. Er habe Anfang Februar 1920 Anton Drexlers Schrift „Mein politisches Erwachen" erhalten und sich daraufhin mit ihm in Verbindung gesetzt. Lauböck war auch seit 1920 mehrmals Gastgeber und „ein nicht unkritischer Förderer" Hitlers (TYRELL, A.: Vom „Trommler" zum „Führer". München 1975, S. 227. Vgl. AUERBACH, H.: Hitlers politische Lehrjahre und die Münchener Gesellschaft 1919 - 1923. In: VfZG 25 (1977), S. 1 - 45, hier S. 22).
2) RA vom 3. 5.1920.
3) StARo, Altregistratur I A 1 - 77.
4) Ebenda. Die besondere „Empfänglichkeit" der Bevölkerung Rosenheims für frühe nationalsozialistische Parolen zeigt auch ein Vergleich mit den Städten Passau, Landshut und Mannheim: Während in Rosenheim bis zum 2. 8.1922 genau 320 Parteimitglieder zu verzeichnen waren, konnten in Passau bis zum 24.8.1922 nur 83, in Landshut (bis zum 20.9.1922) 222 und in Mannheim (bis zum 28. 8.1922) 178 Mitglieder gezählt werden. Vgl. auch MASER, W.: Die Frühgeschichte der NSDAP. Hitlers Weg bis 1924. Frankfurt a. M. u. a. 1965, hier S. 255.
5) BAK, NS 26/215, Mitgliederliste der NSDAP-Ortsgruppe Rosenheim.
6) Ebenda. Vgl. MIESBECK, Peter: Gründung, Organisation und Mitgliedschaft der Ortsgruppe Rosenheim der NSDAP 1920 -1923. Typoskript eines Vortrags vor dem Historischen Verein Rosenheim, StARo, Benutzerakt NSDAP. Siehe auch ULLRICH, Susanne: Die Revolutions- und Inflationszeit in Rosenheim. In: Rosenheim in den 20er Jahren. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Heimatmuseum Rosenheim 1986/87, hrsg. vom Kulturamt der Stadt Rosenheim. Rosenheim 1986, S. 11 - 16, hier S. 15 f.
7) Die Daten zur Frühgeschichte und Neuorganisation der NSDAP Rosenheim folgen den im wesentlichen identischen Angaben in den Zeitungsbeilagen „Treu dem Führer. Die Geschichte der Ortsgruppe Rosenheim der NSDAP", RA vom 9. 8.1935 und „15 Jahre Ortsgruppe Rosenheim der NSDAP", RTW
vom 10./11. 8.1935.
8) Ebenda.
9) StARo, Protokolle B/N 1529.
10) Dr. Ernst Klein, geboren am 11.10.1892 in Rosenheim, Arzt, Kriegsfreiwilliger 1914/ 18. Dr. Klein war Mitglied der Thulegesell-schaft und des Deutschvölkischen Schutz-und Trutzbundes, Gründungsmitglied des Bundes Oberland und trat 1920 mit der Mitgliedsnummer 99 der Rosenheimer NSDAP bei. Vgl. RTW vom 29.6.1936. Weiteres siehe den Beitrag „Kommissarische Bürgermeister, erste Wahlen und Entnazifizierung".
11) RA 9. 8.1935, RTW 10./11.8.1935.
12) Ebenda.
13) Statistisches Jahrbuch für Bayern 16 (1924), XX b und 17 (1926), XX b.
14) Im Juni 1929 wurde in Pressemeldungen eine Ortsgruppe Kiefersfelden genannt (RTW vom 10./11.6.1929), der im Bezirksamt Aibling Stützpunkte in Feilnbach (Aiblinger Zeitung vom 29.10.1930) sowie im November 1931 in Feldkirchen folgten (Aiblinger Zeitung vom 4.11.1931). Nach mehreren Anläufen glückte am 10. Januar 1930 eine Parteiniederlassung in Kolber-moor (RTW vom 10./11.6.1930). Ab März 1930 ist eine Ortsgruppe in Wasserburg feststellbar, die den Großteil des Bezirksamts betreute und in Amerang einen selbständigen Parteiposten aufziehen konnte. Ab Frühjahr 1931 bearbeitete daneben eine Ortsgruppe in Rott am Inn den Süden des Wasserburger Bezirks (Wasserburger Anzeiger vom 29.4.1931). Im Osten des Bezirksamts Rosenheim besorgte ab 1929 die Ortsgruppe Prien die Propaganda und die Sammlung der Parteigenossen (Chiem-gau-Zeitung vom 17.12.1929).
15) Statistisches Jahrbuch für Bayern 18 (1928), XX, lb und 2b.
16) Das Rosenheimer BVP-Blatt kommentierte: „Da in Rosenheim Hitlers Nobelgarde in den letzten Jahren zu einem kleinen Häufchen zusammengeschmolzen ist, will man die Hakenkreuzler aus allen Teilen des deutschen Vaterlandes zusammentrommeln, um in Rosenheim mit Pauken und Trompeten paradieren zu können. Wir lassen den lieben Hakenkreuzlern diese unschuldige Freude. Theaterspielen war ja von jeher der Lieblingssport des schönen Adolf." RTW vom 27./28.4.1929.
17) StARo, Altregistratur I A 1 - 77. Vgl. RA vom 2. 9.1929 und RTW vom 2./3.9.1929.
18) StARo, Altregistratur I A 1 - 77.
19) Ebenda.
20) StARo, Benutzerakt NSDAP Schloßberg.
21) RA vom 18.4.1932.
22) Vgl. StARo, Benutzerakt NSDAP Schloßberg. Die Referenten waren nach ihrem Vortrag von der veranstaltenden Ortsgruppe bar zu bezahlen, siehe Schreiben der Gauleitung Oberbayern an die Ortsgruppe Schloßberg vom 5. 3.1930 mit der Ankündigung, am 23. 3.1930 werde der Straubinger Wanderredner Oberlindobler zum Thema „Organisierter Volksbetrug" sprechen: „Pauschalentschädigung [...] 20 + ca.
5 RM. Dieser Betrag ist dem Redner [...] in geschlossenem Briefumschlag unauffällig durch den Versammlungsleiter zu übergeben."
23) StARo, Benutzerakt NSDAP Schloßberg.
24) Ebenda.
25) Ebenda.
26) StAM, NSDAP 913.
27) Ebenda.
28) StARo, Benutzerakt NSDAP Schloßberg.
29) Vgl. RTW vom 6./7.9.1930.
30) RTW vom 10./11. 6.1929.
31) StARo, Altregistratur I A 1 - 77.
32) RTW vom 10./11. 8.1935.
33) Ebenda.
34) StAM, LRA 47157.
35) StARo, Bildkartei. RA vom 9. 8.1935, RTW vom 10./11. 8.1935.
36) Bayerische Staatszeitung vom 9.4. 1932.
37) RA vom 8.4.1932 und 9./10.4.1932.
38) RA vom 19., 20. und 21. 8.1931.
39) RA vom 12.1.1932,13.1.1932.
40) RA vom 9./10.4.1932.
41) RA vom 14. 3.1932. Vgl. die Stellungnahme von Dr. Metzger zu den Putschgerüchten: Seit der Waffenbeschlagnahme sei er aus der NSDAP ausgeschlossen. RTW vom 9./10.4.1932.
42) StARo, Altregistratur I A 1 - 77. Ebenso wurde die 20 Mann starke Wache der Eisernen Front polizeilich aufgelöst.
43) Aiblinger Tagblatt vom 22. 3.1932.
44) BHStA, Abteilung Kriegsarchiv, Einwohnerwehrakten (EW) Bd. 7/I Akt 5, Heimatschutzführer Escherich an Chiemgau-führer Jäger (Aschau), nicht ausgeführter Entwurf vom 1.4.1932.
45) RA vom 9. 8.1935, RTW vom 10./11. 8. 1935. Vgl. RA vom 12. 8.1935.
46) Vgl. Sonntag-Morgenpost vom 1.1. 1933.